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Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Titel: Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
Autoren: Ilia Milstein , Dmitri Popov
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verlesen. Die Rolle der Themis in diesem Prozess fällt an Rodion Kirejew, einen 31-jährigen Richter mit den runden Bäckchen eines kleinen Jungen, der eine schwindelerregende Karriere gemacht hat. Noch ein halbes Jahr zuvor hat er in der Region Kiew gearbeitet und ist dann – auf Erlass von Präsident Janukowitsch – überraschend in die Hauptstadt versetzt worden. Und zwar in eben jenes Petschersker Bezirksgericht, an dem er ein paar Monate später mit der Leitung des wichtigsten politischen Prozesses des Landes beauftragt wird: ein Urteil zu fällen in der Sache Julia Timoschenko.
    Rodion Kirejew ist sichtlich aufgeregt. Seine Aufregung zeigt sich auf verschiedene Weise. In einem unkontrollierten Zucken der rechten Braue. In einem ständig nach unten gerichteten Blick. In einer unsicheren, manchmal unverständlichen Aussprache.
    Nun verliest Kirejew das Urteil, und schon zu Beginn, kaum dass er Timoschenko für schuldig befunden hat, der Firma »Naftagas Ukraine« einen Schaden in Höhe von 1,5 Milliarden Griwna zugefügt zu haben, ist klar, dass er sie hinter Gitter bringen wird. Julia Timoschenko hegt diesbezüglich vom ersten Tag an keine Zweifel. Im Sitzen hört sie sich das Urteil an, nachdem sie bereits zu Prozessbeginn verkündet hat, »man erhebt sich vor einem Gericht, und nicht, wenn eine Farce gegeben wird.« Mit betonter Teilnahmslosigkeit liest sie etwas in ihrem iPad, der Blick durch ihre Brillengläser wirkt undurchdringlich. Neben ihr sitzen ihre Tochter Jewgenia und ihr Mann Oleksandr, die beim Prozess als offizielle Verteidiger auftreten. An ihren Gesichtern kann man erahnen, was in der Angeklagten vorgeht. Sie verbergen ihre Angst nicht.
    Lady Ju ist des Bangens längst müde geworden.
    Mit Hoffen und Bangen hatte Julia Timoschenko sich zum ersten Mal im Leben durchgerungen, selbstständig ins Präsidentenamt aufzurücken – gegen Juschtschenko und Janukowitsch. Mit Hoffen und Bangen hatte sie die ersten Prognosen der Meinungsforscher zur Kenntnis genommen, die ihr keinerlei Chancen auf einen Sieg ließen. Mit Hoffen und Bangen hatte sie zusammen mit ihren Polittechnologen ein Wahlprogramm und die wichtigste Losung der Kampagne kreiert: »Sie arbeitet!«
    Auf den ersten Blick war der Slogan durchaus überzeugend, denn Timoschenko kandidierte nicht nur zum ersten Mal für das Präsidentenamt. Zum ersten Mal auch trat sie bei den Wahlen nicht aus dem Lager der Opposition, sondern als Amtsinhaberin auf. »Sie arbeitete« im Amt des Ministerpräsidenten, und das bedeutete, in ihren Händen lag administratives Potenzial, also die Möglichkeit, täglich und stündlich aus selbst geschaffenen Anlässen auf den Fernsehbildschirmen zu erscheinen. Sie machte große Politik und schaute herablassend auf den längst abgehängten Janukowitsch und seine oppositionelle Kritikwut hinunter.
    Das Unglück bestand darin, dass seine Kritik wirksam war.
    Das Jahr 2008, in dem die Welt in einer Finanzkrise versank, versetzte der Ukraine einen schweren Schlag. Ohne sich allzu sehr mit den Details zu beschäftigen, konnte man die Verantwortung für diese Last leicht auf den Präsidenten und die Ministerpräsidentin abwälzen. Außerdem hing die Beschuldigung des »Verrats« wie ein ­Damoklesschwert über ihr.
    Sie arbeitet? Dann schaut euch doch mal die Ergebnisse ihrer Arbeit an! Janukowitsch und seine PR-Leute konnten ohne große Mühe ihre eigene, erfolgreiche Wahlkampagne auf die Beine stellen. Dieser Präsidentschaftskandidat war nicht mehr nur der Vorgänger des ins politische Nichts entschwundenen Kutschmas. Er stand für sich selbst – ein ruhiger, bedächtiger Herr, ein starker Wirtschaftsexperte, der sich aus einem Funktionär sowjetischen Typus’ zu einem Politiker gemausert hatte, dem die Ideale der Demokratie nicht fremd waren. Er hatte einen Plan: einen Wirtschaftsaufschwung, die Erneuerung des Landes, das die »orangenen« Anführer an den Bettelstab gebracht hatten, Wohlstand für die ukrainischen Familien und die Aussöhnung mit Russland, mit dem sich der kurzsichtige Jusch­tschenko bis aufs Messer zerstritten hatte. Neben den abgekämpften Helden des Maidan nahm sich Janukowitsch überzeugend, gravitätisch und ansehnlich aus. Ihr habt euch damals etwas übereifert, schien er seinen Landsleuten zuzurufen, seid weiß der Himmel wem nachgelaufen und habt mich zurückgewiesen, aber ich bin nicht nachtragend. Jetzt komme ich und rette euch.
    Ja, so ist es denn wohl gewesen: Die Kinder haben ihre
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