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Julia Festival Band 0105

Julia Festival Band 0105

Titel: Julia Festival Band 0105
Autoren: SARA CRAVEN
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Miles? Bislang hieß es doch immer: ‚Ja, Mr. Hunter, Sir.‘“
    „Das stimmt, und so wird es ab morgen auch wieder sein“, erklärte Chessie. „Es ist schließlich bloß ein Essen.“
    Wie oft werde ich das wohl noch sagen, bevor ich mich selbst überzeugt habe?, fragte sie sich später, als sie ihre spärliche Garderobe inspizierte.
    Es war so lange her, dass sie zuletzt in einem Restaurant gegessen hatte. Sie erinnerte sich an das Mittagessen mit ihrem Vater, bei dem sie kaum einen Bissen hinuntergebracht hatte, weil sie zu bestrebt gewesen war, etwas über die Vorgänge in der Firma zu erfahren.
    Chessie dachte an die bohrenden Fragen, die sie gestellt hatte.
    Neville hatte ihr die Hand getätschelt. „Es ist alles in Ordnung.“ Sie hörte seine Stimme so deutlich wie damals. „Es gibt nichts, worüber sich mein Mädchen sorgen müsste.“
    Er hatte laut gesprochen und viel gelacht. Und auch viel getrunken. Am anderen Ende des Speisesaals hatte er einige ehemalige Geschäftsfreunde entdeckt und ihnen lebhaft zugewinkt, um sie an seinen Tisch zu bitten, aber sie waren nicht gekommen.
    Es war ihr schon damals bedrohlich erschienen, wie der erste Riss in einem Damm, aber sie hatte nicht gewagt, es zu erwähnen. Sie hatte nicht einmal die Möglichkeit in Betracht ziehen wollen und sich eingeredet, sie hätte sich alles nur eingebildet.
    An jenem Tag hatte sie ein dezentes Kleid aus cremefarbenem Leinen mit großen Goldknöpfen getragen. Leider existierte es nicht mehr, und ansonsten besaß sie wenig, was sich für eine Einladung zum Abendessen eignete.
    Die meisten ihrer Sachen fielen in zwei Kategorien: einfach oder ein wenig flotter. Letztlich entschied sie sich für einen wadenlangen schwarzen Rock und eine elfenbeinfarbene Bluse aus dem Versandhaus. Dank der vergoldeten Ohrringe und Ketten, die Jenny ihr zum letzten Geburtstag geschenkt hatte, wirkte das Outfit ein bisschen festlicher.
    Sie war Anfang zwanzig und fühlte sich wie hundert. Zwischen ihren Brauen standen Sorgenfalten, und um ihre Mundwinkel lag ein verbissener Zug. Normalerweise fasste sie das hellbraune Haar im Nacken ordentlich mit einem Gummiband zusammen, aber heute beschloss sie, es ausnahmsweise offen zu tragen. Es fiel ihr wie ein seidiger Vorhang über die Schultern.
    Da Chessies einziger verbliebener Lidschatten eingetrocknet war, begnügte sie sich mit einem Hauch von Lipgloss. Jenny verfügte zwar über reichlich Kosmetika, weil sie sich gelegentlich mit dem Austragen von Zeitungen etwas dazuverdiente, aber angesichts der Umstände war nicht damit zu rechnen, dass sie ihre Schätze mit ihrer Schwester teilen würde.
    Als letzten Schliff gönnte Chessie sich einige Tropfen L’Air du Temps. Wenn der Flakon leer war, würde es kein neues Parfüm geben. Obwohl sie ein gutes Gehalt bekam, blieb wenig Geld für Luxus übrig.
    Jenny hatte ein Stipendium als Tagesschülerin für die Schule im Nachbarort gewonnen, sodass Chessie keine Gebühren zu zahlen brauchte. Aber es gab viele andere Ausgaben. Die einzig akzeptable Sportbekleidung stammte von teuren Herstellern, und außerdem waren an der Schule Uniformen vorgeschrieben – bei Jennys schnellem Wachstum ein echter Albtraum.
    Ihre Schwester sollte jedoch genau das Gleiche haben wie die anderen Mädchen. Chessie war in diesem Punkt von Anfang an unerbittlich gewesen. Jenny durfte von ihren Altersgenossinnen nicht verspottet oder geschnitten werden.
    Seufzend streifte Chessie einen Blazer über und griff nach ihrer Handtasche. Sieht so eine junge Frau aus, mit der sich ein Bestsellerautor verabreden würde?, fragte sie sich, als sie in den Spiegel blickte. Die Antwort darauf lautete „Nein“. Warum hatte er sich keine passendere Begleitung ausgesucht?
    Denn egal, wie boshaft Jenny auch lästerte, Miles Hunter war trotz der Narbe auf seinem Gesicht ein attraktiver, dynamischer Mann. Es wunderte Chessie, dass sie so lange gebraucht hatte, um dies zu bemerken.
    Allerdings hatte sie ihn nie als menschliches Wesen betrachtet. Er war der Mann, für den sie arbeitete, und seine harsche Zurückweisung ihres Mitgefühls gleich am Anfang ihrer Bekanntschaft hatte jede persönliche Note zwischen ihnen zerstört. Er war ein Schemen für sie geworden, ein dunkler Gott, der stets besänftigt werden musste, damit Jenny und sie überleben konnten.
    Chessie dachte an die Frau, von der er ihr erzählt hatte – jene Verlobte, die ihn wegen der Narben verlassen hatte. War er noch immer verbittert
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