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Jugend

Jugend

Titel: Jugend
Autoren: Josef Conrad
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die anscheinend glattrasiert, doch in Wirklichkeit bis zur Haut abgesengt waren. Andere von der Freiwache, die dadurch geweckt worden waren, daß sie aus ihren zusammenbrechenden Kojen geschleudert wurden, zitterten und stöhnten noch, als wir uns schon wieder an die Arbeit gemacht hatten. Doch alle arbeiteten. Diese Mannschaf aus hartgesottenen Liverpooler Seeleuten war schon vom rechten Schlag. Meiner Erfahrung nach ist das immer so. Es ist die See, die ihnen das schenkt – die Weite, die Einsamkeit, die ihre dunklen, stumpfen Seelen umgibt. Ah! Nun! Wir stolperten, wir krochen, wir fielen hin, wir schürfen uns die Schienbeine an den Trümmern auf – wir holten die Brassen an. Die Masten standen noch, aber wir wußten nicht, wie weit sie unten verkohlt waren. Es war fast windstill, doch eine lange Dünung kam aus West und ließ das Schiff rollen. Sie konnten jeden Augenblick umstürzen. Wir sahen sie furchtsam an. Man konnte nicht vorhersagen, in welcher Richtung sie fallen würden.
    Dann zogen wir uns auf das Achterschiff zurück und sahen uns um. Das Deck war ein Gewirr von gekanteten und hochgeworfenen Bohlen, von Splittern, von zertrümmertem Holzwerk. Die Masten erhoben sich aus diesem Chaos wie große Bäume aus verfilzten Unterholz. Die Zwischenräume dieser Trümmermasse waren angefüllt mit etwas Weißlichem, träge Fließendem, Quirlendem – etwas, das wie ein fettiger Nebel aussah. Der Rauch des unsichtbaren Feuers drang wieder herauf, kroch dahin wie ein gifiger, dichter Wrasen in einem mit morschem Holz vollgestopfen Tal. Schon ringelten sich träge Rauchwölkchen aus der Masse zersplitterten Holzes. Hier und dort ragten Balken senkrecht wie Pfosten auf. Die Hälfe der Nagelbank am Großmast war durch die Fock gesaust, und der Himmel bildete einen Flecken glorreichen Blaus in der schmählich besudelten Leinwand. Einige noch zusammenhaltende Planken waren auf das Schanzkleid gefallen, und ihr eines Ende hing über Bord hinaus wie eine Laufplanke, die ins Nichts führt, über das tiefe Meer hin, in den Tod – als wollte sie uns einladen, sogleich über sie zu treten und mit unserem lächerlichen Ungemach abzuschließen. Und dennoch rief die Luf, der Himmel – ein Geist, etwas Unsichtbares das Schiff an.
    Jemand besaß die Geistesgegenwart, über das Schanzkleid zu blicken, und da war der Rudermann, der impulsiv über Bord gesprungen war und der jetzt zurückkommen wollte. Er brüllte und schwamm munter wie ein Meermann und hielt Schritt mit dem Schiff. Wir warfen ihm ein Tau zu, und alsbald stand er trief naß und sehr kleinmütig unter uns. Der Kapitän hatte das Ruder abgegeben, stand abseits und starrte, die Ellenbogen auf die Reling gestützt und das Kinn in der Hand, wehmütig auf das Meer. Wir fragten uns: Was nun? Ich dachte: Das ist wirklich einmal was Rechtes. Das ist groß. Was jetzt wohl geschehen mag? O Jugend!
    Plötzlich sichtete Mahon weit achtern einen Dampfer. Kapitän Beard sagte: ›Wir können’s mit der Bark vielleicht doch noch schaffen.‹ Wir heißten zwei Flaggen, was in der internationalen Sprache der Seefahrt besagt: ›Feuer im Schiff. Erbitten sofortige Hilfe.‹ Der Dampfer wurde rasch größer und zeigte bald zwei Flaggen im Vortopp. Sie hatten die Bedeutung: ›Ich komme Ihnen zu Hilfe.‹
    Eine halbe Stunde später war er heran, luvwärts, in Rufweite, und rollte leicht mit gestoppter Maschine. Wir verloren die Fassung und schrien alle auf einmal: ›Wir sind in die Luf geflogen.‹ Ein Mann in weißem Tropenhelm auf der Brücke rief: ›Ja! Schon gut! Schon gut!‹ nickte mit dem Kopf, lächelte und machte beruhigende Handbewegungen wie vor einer erschreckten Kinderschar. Eines der Boote ging zu Wasser und kam mit langen Schlägen über das Meer zu uns herüber. Vier Kalaschen pullten kräfig an den Riemen. Dies war das erste Mal, daß ich malaiische Seeleute zu Gesicht bekam. Ich habe sie seither zur Genüge kennengelernt, doch was mich damals beeindruckte, das war ihre Gleichmütigkeit: sie kamen längsseits, und nicht einmal der Bugmann, der aufgestanden war und sich mit dem Bootshaken an den Großrüsten festhielt, geruhte, seinen Kopf zu heben und einen Blick hinauf zuwerfen. Ich dachte, Leute, deren Schiff in die Luf geflogen ist, hätten mehr Beachtung verdient.
    Ein kleiner Mann, spindeldürr und beweglich wie ein Affe, kletterte herauf. Es war der Erste Offizier des Dampfers. Er warf einen Blick auf das Deck und rief: ›O Leute – ihr verlaßt
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