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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann
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Set selbst das Wundertier, das Spätere für ein Bild des Sonnengottes erachteten und »Hor im Lichtberge« hießen, aus dem Steine gehauen? Das war wohl möglich, denn wahrscheinlich war Set, wie auch Usiri, das Opfer, nicht immer ein Gott gewesen, sondern einmal ein Mensch, und zwar ein König über Ägypterland. An der nicht selten vernommenen Belehrung, ein gewisser Menes oder Hor-Meni habe, ungefähr sechstausend Jahre vor unserer Zeitrechnung, die erste ägyptische Dynastie gegründet und vorher sei »vordynastische Zeit« gewesen –; er, Meni, habe zuerst die Lande, das untere und obere, den Papyrus und die Lilie, die rote und die weiße Krone vereinigt und als erster König über Ägypten geherrscht, dessen Geschichte mit seiner Regierung beginne –, an dieser Aussage ist wahrscheinlich jedes Wort falsch, und für den schärfer zudringenden Blick wird Urkönig Meni zu einer bloßen Zeitenkulisse. Dem Herodot erklärten ägyptische Priester, die geschriebene Geschichte ihres Landes reiche 11 340 Jahre vor seine Ära zurück, was ungefähr vierzehntausend Jahre für uns bedeutet und eine Angabe darstellt, die König Meni’s Gestalt ihres urhaften Charakters weitgehend zu entkleiden geeignet ist. Die Geschichte Ägyptens zerfällt in Perioden der Spaltung und Ohnmacht und solche der Macht und des Glanzes, in Epochen der Herrschaftslosigkeit und der Vielherrschaft und in solche der majestätischen Sammlung aller Kräfte, und immer deutlicher wird, daß diese Daseinsformen zu oft gewechselt haben, als daß König Meni der erste Vertreter der Einheit gewesen sein könnte. Der Zerrissenheit, die er heilte, war ältere Einheit vorausgegangen, und dieser ältere Zerrissenheit; wie oft es aber hier »älter«, »wieder« und »weiter« zu heißen hat, ist nicht zu sagen, sondern nur dies, daß erste Einheit unter Götterdynastien blühte, deren Söhne mutmaßlich jene Set und Usiri waren, und daß die Geschichte von Usirs, des Opfers, Ermordung und Zerstückelung auf Thronstreitigkeiten, welche damals mit List und Verbrechen ausgetragen wurden, sagenhaft anspielte. Es war das eine bis zur Vergeistigung und Geisterhaftigkeit tiefe, mythisch und theologisch gewordene Vergangenheit, welche zur Gegenwart und zum Gegenstand pietätvoller Verehrung wurde in Gestalt gewissen Getieres, einiger Falken und Schakale, die man in den alten Hauptstädten der Länder, Buto und Enchab, hegte und in denen die Seelen jener Vorzeit-Wesen sich geheimnisvoll bewahren sollten.

4
    »Aus den Tagen des Set«, – die Wendung gefiel dem jungen Joseph, und wir teilen sein Vergnügen daran; denn auch wir, wie die Leute Ägyptenlandes, finden sie höchst verwendbar und schlechthin auf alles passend, – ja, wohin wir nur blicken im Bereiche des Menschlichen, legt sie sich uns nahe, und aller Dinge Ursprung verliert sich bei schärferem Hinsehen in den Tagen des Set.
    Zu dem Zeitpunkt, da unsere Erzählung beginnt – ein ziemlich beliebiger Zeitpunkt, aber irgendwo müssen wir ansetzen und das andre zurücklassen, da wir sonst selbst »in den Tagen des Set« beginnen müßten –, war Joseph schon ein Hirte des Viehs mit seinen Brüdern, wenn auch in schonenden Grenzen zu dieser Leistung berufen: er hütete, wenn es ihm Freude machte, mit ihnen auf den Weiden von Hebron seines Vaters Schafe, Ziegen und Rinder. Wie sahen diese Tiere aus, und worin unterschieden sie sich von denen, die wir halten und hüten? In gar nichts. Es waren dieselben befreundeten und gefriedeten Geschöpfe, auf derselben Stufe ihrer Züchtung, wie wir sie kennen, und die ganze Zuchtgeschichte etwa des Rindes aus seinen wilden Büffel-Formen war in des jungen Joseph Tagen seit so langem zurückgelegt, daß »längst« ein schlechthin lächerlicher Ausdruck ist für diese Strecken: das Rind war nachweislich gezüchtet schon in der Frühe jener Gesittungsepoche der Steinwerkzeuge, die dem Eisen-, dem Bronzezeitalter voranging und von welcher der babylonisch-ägyptisch gebildete Amurru-Knabe Joseph fast ebenso weit abstand wie wir Heutigen, – der Unterschied ist verschwindend.
    Erkundigen wir uns nach dem wilden Schafe, aus welchem das unsrige und Jaakobs Herdenschaf »einst« gezüchtet worden, so wird uns bedeutet, daß es ausgestorben ist. »Längst« kommt es nicht mehr vor. Seine Verhäuslichung muß sich in den Tagen des Set vollzogen haben, und die Züchtung des Pferdes, des Esels, der Ziege und die des Schweines aus dem wilden Eber, der Tammuz, den Schäfer,
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