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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann
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unserer Zeitrechnung, offenbar noch nicht für reif, denn ihren Annalen zufolge wurde sie ihnen erst ungefähr dreizehnhundert Jahre später durch den großen Fremdenkaiser Tai-Ko-Fokee vermittelt, während die Gestirnpriester von Sinear sich auf die Zeichen des Tierkreises bestimmt schon mehrere hundert Jahre früher verstanden und uns sogar berichtet wird, daß ein Mann, der Alexander, den Mazedonier, nach Babylon begleitete, dem Aristoteles astronomische Aufzeichnungen der Chaldäer übersandte, deren Angaben, in gebackenen Ton geritzt, heute 4160 Jahre alt wären. Das hat bequemste Möglichkeit; denn es ist wahrscheinlich, daß Himmelsbeobachtung und kalendarische Berechnungen schon im Lande Atlantis geübt wurden, dessen Untergang nach Solon neuntausend Jahre vor den Lebzeiten dieses Gelehrten datierte, und daß also gut elfeinhalbtausend Jahre vor unserer Zeitrechnung der Mensch bereits zur Pflege dieser hohen Künste gediehen war.
    Daß die Schreibkunst nicht jünger, sehr möglicher Weise aber viel älter ist, leuchtet ein. Wir reden davon, weil Joseph ihr so besonders lebhaft zugetan war und sich, im Gegensatz zu allen seinen Geschwistern und anfangs mit Eliezers Beihilfe, früh darin vervollkommnete, nämlich sowohl in babylonischer wie in phönizischer und chetitischer Schriftart. Er hegte geradezu eine Vorliebe und Schwäche für den Gott oder Abgott, den man im Osten Nabu, den Geschichtsschreiber, in Tyrus und Sidon aber Taut nannte und in dem man hier wie dort den Erfinder der Zeichen und den Chronisten der Uranfänge sah: den ägyptischen Thot von Schmun, den Briefschreiber der Götter und Schutzherrn der Wissenschaft, dessen Amt dort unten für höher geachtet wurde als alle Ämter, – diesen wahrhaften, mäßigen und sorgsamen Gott, der zuweilen ein Affe mit weißem Haare war, von lieblicher Gestalt, zuweilen auch ibisköpfig erschien und, wiederum ganz nach Josephs Sinn, sehr zarte und feierliche Beziehungen zum Mondgestirn unterhielt. Dem Jaakob, seinem Vater, durfte der junge Mann diese Neigung nicht einmal eingestehen, da dieser das Liebäugeln mit solchem Götzengezüchte unbeugsam verpönte und also sich wohl strenger erwies als gewisse höchste Stellen selbst, denen seine Strenge geweiht war; denn Josephs Geschichte lehrt, daß diese ihm solche kleinen Abschweifungen ins eigentlich Unerlaubte nicht ernstlich, oder wenigstens nicht auf die Dauer verübelten.
    Die Schreibkunst angehend, so ließe sich, um ihre verschwimmende Herkunft anzudeuten, von ihr in leichter Abwandlung jener ägyptischen Wendung besser sagen, sie stamme aus den Tagen des Thot. Die Schriftrolle als Abbildung findet sich in den ältesten ägyptischen Denkmälern, und wir kennen den Papyrus, der Hor-Sendi, einem Könige der zweiten dortigen Dynastie, sechstausend Jahre vor uns, gehörte, damals aber bereits für so alt galt, daß man sagte, Sendi habe ihn von Set ererbt. Als Snofru und jener Chufu, Sonnensöhne des vierten Hauses, herrschten und die Pyramiden von Gizeh erbaut wurden, war die Kenntnis der Schrift im niederen Volke so gang und gäbe, daß man heute die einfältigen Inschriften studiert, mit denen Arbeitsleute die riesigen Baublöcke bekritzelt. Daß aber zu derart entlegener Zeit die Wissenschaft so gemein geworden, kann nicht wundernehmen, wenn man sich jener priesterlichen Relation über das Alter der geschriebenen Geschichte Ägyptens erinnert.
    Sind nun die Tage der befestigten Zeichensprache so ungezählt, – in welchen mögen dann die Anfänge der Sprache des Mundes zu suchen sein? Die älteste Sprache, die Ursprache, sagt man, sei das Indogermanische, Indoeuropäische, das Sanskrit. Aber es ist so gut wie gewiß, daß das ein »Ur« ist, so vorschnell wie manches andere, und daß es eine wieder ältere Muttersprache gegeben hat, welche die Wurzeln der arischen sowohl wie auch der semitischen und chamitischen Mundarten in sich beschloß. Wahrscheinlich ist sie auf Atlantis gesprochen worden, dessen Silhouette die letzte im Fernendunst undeutlich noch sichtbare Vorgebirgskulisse der Vergangenheit bildet, das aber selbst wohl kaum die Ur-Heimat des sprechenden Menschen ist.

5
    Gewisse Funde bestimmen die Experten der Erdgeschichte, das Alter der Menschenspezies auf fünfhunderttausend Jahre zu schätzen. Das ist knapp gerechnet, erstens in Anbetracht dessen, was die Wissenschaft heute für wahr lehrt: daß nämlich der Mensch in seiner Eigenschaft als Tier das älteste aller Säugetiere sei und schon in
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