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Josefibichl

Josefibichl

Titel: Josefibichl
Autoren: Marc Ritter
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die Enteignung sämtlichen Kircheneigentums. Versuchte die Fronleichnamsprozession durch Lärmangriffe mittels auf den Kirchturm montierter Lautsprecher zu sabotieren. In den Akten stehen sogar die Bands, die er spielen ließ: Black Sabbath, Judas Priest und Alice Cooper.«
    »Damit könntest du heute keinen mehr aufregen«, warf Bernd Schneider ein. »Cooper macht jetzt sogar Werbung für einen Elektrohändler.«
    Unbeirrt machte Claudia Schmidtheinrich weiter: »Stach Religionslehrern die Autoreifen auf. Zündete den Käfer eines Kaplans an, was ihm allerdings nicht nachgewiesen werden konnte.« Sie hatte innerhalb weniger Stunden all diese Informationen aus den Bereitschaftspolizisten herausgeholt, die sich noch an Hartingers Jugendsünden erinnern konnten.
    »Was macht eigentlich so ein Kaplan?« Schneider war ganz knapp hinterm Deich geboren und daher evangelisch; von der römisch-katholischen Kirche und ihren Gebräuchen hatte er keine Ahnung.
    »Bezeichnet einen jungen Priester, der noch nicht die Verantwortung für eine Gemeinde übernommen hat, so was wie der Assistent des Pfarrers«, zitierte Claudia Schmidtheinrich das vor wenigen Minuten aus Wikipedia Gelernte.
    »Aha – und in den Zeiten der größten Krise der katholischen Kirche seit der Säkularisierung, wo herauskommt, dass sich Mönche gerne an Schutzbefohlenen vergehen, entweder prügelnd oder sexuell, oder beides, findet einer mit dieser Vorgeschichte einen toten Mönch, ruft die Polizei, unterhält sich mit dem Einsatzleiter der örtlichen Polizei, wird nach Hause geschickt und verschwindet. Da ist doch etwas oberfaul!«
    Alle wichtigen Fakten standen nun am Flipchart. Zumindest die, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Sicherheit festgestellt waren. Noch lag keine umfassende Bewertung der Spurensicherung und der Leichenschau vor.
    »Aber reicht das?« Schneider machte ein betont hilfloses Gesicht.
    »Spricht eher für ihn«, sagte Schmidtheinrich in Richtung Flipchart.
    »Dass er vor der Polizei abhaut?«
    »Dass er sie überhaupt alarmiert hat. Könnte ein Ablenkungsmanöver sein, aber in dem Fall glaube ich das nicht.«
    »Und was glaubst du?«
    »Ich glaube, dass wir viel zu wenig wissen, vor allem, was diesen Mann wirklich bewegt. Alles, was wir über ihn erfahren haben, liegt über zwei Jahrzehnte zurück.«
    Schneider musste seiner Mitarbeiterin leider recht geben. »Wir brauchen diesen Hartinger hier. Es wird doch in unserem Überwachungsstaat möglich sein, diesen Menschen ausfindig zu machen.«
    Wie tief sich Hartinger mit seiner Flucht in Schwierigkeiten gebracht hatte, wurde ihm am Morgen bewusst, als er Weißhaupts Wohnung verabredungsgemäß kurz nach fünf verließ, um sich in der U-Bahn-Station Sendlinger Tor einen Kaffee und ein Croissant zu besorgen. Unter den derzeitigen Gegebenheiten konnte er nicht auf Diätpläne achten. Er brauchte Koffein und Kohlenhydrate, um fit zu sein.
    Auf den feuerroten Zeitungskästen prangte sein auf A3 vergrößertes Passbild. Wo die das wohl herhatten? Am Zeitungskiosk gegenüber der Schnellbäckerei sah er die dicken Lettern. Darunter stand seine Geschichte. In der Version der Boulevardblatt-Kollegen, in der er die Rolle des Bösen spielte. Eine Rolle, die ihm nicht nur nicht gefiel, sondern die ihn auch veranlasste, sich sofort aus dem Blickwinkel der Überwachungskameras des U-Bahnhofs zu bewegen.
    Also wieder hoch aus dem Untergrund, auch auf die Gefahr hin, der Polizei direkt in die Arme zu laufen. Er hatte Glück und erreichte unbehelligt die dem Sendlinger Tor gegenüberliegende Straßenbahnstation. Er wusste nicht, ob auch dort der Große Bruder wachte, ging aber vorsichtshalber davon aus und verbarg sein Gesicht hinter einer zuvor aus einem stummen Verkäufer entwendeten Bild-Zeitung.
    Er beschloss, zunächst im frühmorgendlichen Berufsverkehr unterzutauchen. Für den Moment galt: nicht durch unmotiviertes Herumlungern auffallen, Polizei und Überwachungskameras meiden, Handy nur einmal die Stunde kurz anschalten, um die Mailbox auf Nachrichten zu prüfen.
    Ludwig Bernbacher war an diesem Morgen früh aufgestanden und als Erster der Tagschicht in der Polizeiinspektion in der Münchner Straße eingetroffen. Geschlafen hatte er kaum, zu viel war am Tag zuvor passiert. Nicht nur, dass in dem Ort, für den er verantwortlich war, augenscheinlich ein Mord geschehen war – der letzte lag beinahe zehn Jahre zurück –, nein, es musste auch noch ein Mord an einem Mönch sein. Und dann hatte
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