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John Corey 03 - Nachtflug

John Corey 03 - Nachtflug

Titel: John Corey 03 - Nachtflug
Autoren: Nelson DeMille
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jetzt, und etliche Leute warfen sich zu Boden.
    Eine Frau neben mir: »O mein Gott...“

54
    Die Sonne war vor über einer Stunde aufgegangen, aber ihre Strahlen wurden vom Qualm der Feuersbrünste verschluckt.
    Vom Balkon meines Apartments aus, mit Blick nach Süden, konnte ich die mächtigen Rauchwolken aufsteigen sehen, und ich konnte auch den Schein der Strahler sehen, mit denen die Rettungsmannschaften die Schwärze dort unten ausleuchteten, wo bis gestern Morgen die Zwillingstürme gestanden hatten.
    Irgendwann im Lauf der Nacht hatte ich bei der Such- und Rettungsaktion meine Jacke verloren, und meine übrige Kleidung wie auch die Haut waren mit schwarzem, öligem Ruß überzogen, der meines Wissens furchtbar stank, aber ich nahm den Geruch nicht mehr wahr.
    Ich schaute auf meine Uhr, rieb den Ruß vom Glas und sah, dass es 7.32 Uhr war. Kaum zu fassen, dass fast vierundzwanzig Stunden vergangen waren. Im Lauf des Tages war es mir streckenweise so vorgekommen, als ob die Zeit viel zu schnell dahin raste, dass viele Stunden verstrichen waren, wenn ich meinte, gerade eine wäre vergangen; aber im Laufe der Nacht, die nicht enden wollte, selbst nachdem die Sonne aufgegangen war, schien die Zeit stehenzubleiben.
    Ich hustete einen schwarzen Klumpen in mein geschwärztes Taschentuch und steckte es wieder in die Hosentasche.
    Noch bevor es tatsächlich passiert war, war mit klargeworden, was da vor sich ging. Das bringt der Beruf so mit sich. Aber die meisten Menschen rund um mich herum, das Personal vom Notdienst ebenso wie die beiden Cops, die mich begleiteten, meinten, es wäre ein Unglück. Als das zweite Flugzeug um 9.03 Uhr in den Südturm raste, begriff jeder das Unfassbare.
    Ich hatte die ersten Stunden nach dem Anschlag mit der Suche nach Kate zugebracht, aber als das ungeheure Ausmaß der Tragödie und der Blutzoll offenkundig wurden, suchte ich nur noch irgendjemandem, der in den schwelenden Trümmern überlebt haben könnte.
    Ich erinnerte mich an die letzte Funkdurchsage eines der Cops - »Zwei Zivilisten und vier Kollegen sind drin.«
    Ich hatte Kate über mein Handy zu erreichen versucht, aber sämtliche Handys waren ausgefallen, und sie funktionierten immer noch nicht.
    Als ich heute Morgen um halb sieben die Überreste des Nordturms verlassen hatte, hatte man noch keine Überlebenden gefunden und man rechnete auch nicht damit, noch viele zu finden.
    So surreal es vor Ort gewesen war, die Rückfahrt nach Hause war noch surrealer gewesen. Die Straßen in Downtown waren nahezu menschenleer, und die Menschen, die ich sah, wirkten wie betäubt. Etwa zwanzig Blocks weiter nördlich hatte ich ein Taxi gefunden, und der Fahrer, ein Mann namens Mohammed, weinte, als er mich sah, und er weinte auch während der ganzen Fahrt zur East 72 nd Street. Alfred, mein Portier, weinte ebenfalls, als ich aus dem Taxi stieg.
    Ich schaute zurück zu den aufsteigenden Qualmwolken, und zum ersten Mal spürte ich, wie mir die Tränen über das rußverschmierte Gesicht liefen.
    Ich konnte mich nur noch undeutlich erinnern, wie ich mit Alfred, der einen Passepartout hatte, im Aufzug nach oben gefahren und mein Apartment betreten hatte. Nachdem ich fast zwei Monate weggewesen war, kam es mir fremd vor, und ich stand ein paar Sekunden lang da und versuchte mir darüber klarzuwerden, warum ich hier war und was ich als nächstes tun sollte. Dann ging ich zur Balkontür, weil ich den schwarzen Rauch draußen sehen konnte, zu dem es mich hinzog, weil er mir vertrauter war als mein Zuhause.
    Als ich durch das Wohnzimmer ging, fiel mein Blick auf etwas, das auf der Couch lag - eine Decke -, und ich ging hin. Ich kniete mich neben Kate, die schlief, in eine Decke eingewickelt, die alles bis auf ihr geschwärztes Gesicht und einen Arm bedeckte, der auf ihrer Brust lag. Sie hatte ihr Handy in der Hand.
    Ich weckte sie nicht, betrachtete sie aber eine ganze Zeitlang.
    Ich ließ sie weiterschlafen und ging wieder hinaus auf den Balkon, wo ich mich hinstellte und den Qualm betrachtete, der endlos aufzusteigen schien.
    Hinter mir glitt die Tür auf, und ich drehte mich um. Wir schauten uns ein paar Sekunden lang an, gingen dann zaghaft ein paar Schritte aufeinander zu, fielen uns in die Arme und weinten.
    Halb schlafend setzten wir uns auf zwei Sessel auf dem Balkon und starrten hinaus in die Dunkelheit, die das südliche Manhattan, den Hafen und die Freiheitsstatue verhüllte. Kein Flugzeug flog, kein Telefon klingelte, kein Auto hupte,
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