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Joe's Diary: Tagebucheinträge des Serienkillers aus »Opferzeit« (German Edition)

Joe's Diary: Tagebucheinträge des Serienkillers aus »Opferzeit« (German Edition)

Titel: Joe's Diary: Tagebucheinträge des Serienkillers aus »Opferzeit« (German Edition)
Autoren: Paul Cleave
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es scheint, als suche er nach dem richtigen Wort. »Mann«, stößt er hervor, »muss ärztlich versorgt werden. Und zwar sofort.«
    »Was ist passiert?«
    »Er ist gegen eine Tür gerannt«, sagt jemand, und einige der Männer fangen an zu lachen.
    »Er hat sich etwas ungeschickt angestellt«, sagt ein anderer, und noch mehr Männer stimmen in das Gelächter ein. Das gibt ihnen ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Und der Humor hilft ihnen, wieder runterzukommen, von was für einem Trip auch immer. Einem Trip, auf den ich sie geschickt habe. Außer Schroder, Jack und der Arzt. Sie wirken äußerst ernst.
    »Was ist passiert?«, fragt der Arzt erneut.
    »Selbst zugefügte Schussverletzung«, sagt Schroder, »ein tiefer Streifschuss.«
    »Das sieht nach mehr als einem Streifschuss aus«, sagt der Arzt. »Brauchen Sie wirklich so viele Männer hier?«
    Schroder dreht sich um und zählt offensichtlich in Gedanken seine Leute. Es scheint, als würde er gleich nicken und sagen, sie könnten sogar noch ein paar Männer mehr gebrauchen, doch stattdessen fordert er etwa die Hälfte seines Teams mit einem Zeichen auf, vor dem Krankenhaus zu warten. Ich werde in einen Rollstuhl gedrückt, und man löst mir die Handschellen, nur um meine Handgelenke an die Armlehnen zu ketten. Dann werde ich einen Flur entlanggeschoben, und eine Menge Leute starren mich an, als hätte ich einen Beliebtheitswettbewerb gewonnen, aber in Wirklichkeit weiß keiner, wer ich bin. Keiner von ihnen hat es gewusst. Wir kommen an zwei hübschen Krankenschwestern vorbei, denen ich an jedem anderen Tag nach Hause gefolgt wäre. Man legt mich auf ein Bett, und ich werde mit den Händen ans Gestell gekettet. Dann schnallen sie meine Füße fest, und ich kann mich nicht mehr bewegen. Ich werde so stramm gefesselt, dass ich das Gefühl habe, ich sei von Beton umhüllt. Offensichtlich glaubt man, ich hätte die Kräfte eines Werwolfs.
    »Detective Schroder«, sage ich, »ich verstehe nicht, was hier los ist.«
    Schroder antwortet nicht. Der Arzt kommt zu mir her über. »Das wird jetzt ein bisschen wehtun«, sagt er, und zur Hälfte hat er damit recht, das mit dem bisschen stimmt zwar nicht, aber mit wehtun liegt er absolut richtig. Er stochert in der Wunde herum, untersucht sie und leuchtet mit einer Taschenlampe hinein, und wenn man nicht blinzeln kann, dann ist das so, als würde man direkt in die Sonne starren.
    »Das wird länger als nur ein paar Stunden dauern«, sagt er mehr zu sich selbst, aber so laut, dass die anderen es hören können. »Damit das Augenlid überhaupt wieder funktioniert und möglichst wenige Narben zurückbleiben, ist echte Frickelarbeit erforderlich«, sagt er, und es klingt, als würde er uns gleich einen Kostenvoranschlag unterbreiten und uns dann den Preis für die sonstigen Körperteile nennen. Ich hoffe, er hat noch Lider auf Lager, denn mein eigenes liegt noch auf dem Parkplatz.
    »Die Narben sind uns egal«, sagt Schroder.
    »Mir aber nicht«, sage ich.
    »Und mir auch nicht«, sagt der Arzt. »Verdammt, sein ganzes Augenlid fehlt.«
    »Nicht das ganze«, sage ich.
    »Was soll das heißen?«
    »Es liegt draußen beim Wagen. Auf dem Boden.«
    Der Arzt wendet sich zu Schroder. »Sein Augenlid liegt da draußen?«
    »Was davon übrig ist«, antworte ich für Schroder, der nur mit den Schultern zuckt.
    »Wenn Sie wollen, dass der Mann hier möglichst schnell entlassen wird, brauchen wir das Augenlid«, sagt der Arzt.
    »Wir holen es«, sagt Schroder.
    »Dann machen Sie hin«, erwidert der Arzt. »Sonst müssen wir fremdes Gewebe verpflanzen. Das dauert noch länger. Er muss das Auge wieder schließen können.«
    »Ist mir egal, wenn er es nicht mehr schließen kann«, sagt Schroder. »Kauterisieren Sie das verdammte Ding und kleben Sie ihm eine Augenklappe ins Gesicht.«
    Statt mit Schroder zu streiten oder ihn darauf hinzuweisen, dass dies nicht sein Fachgebiet ist, scheint der Arzt endlich zu begreifen, dass all diese Cops, all die Anspannung, all die Wut etwas zu bedeuten haben. Ich kann sehen – mit dem gesunden und dem blutigen Auge –, wie es ihm allmählich dämmert. Er runzelt die Stirn und schüttelt langsam und mit neugierigem Gesichtsausdruck den Kopf. Ich weiß, welche Frage jetzt kommt.
    »Wer ist dieser Mann?«
    »Das ist der Schlächter von Christchurch«, antwortet Schroder.
    »Ausgeschlossen«, sagt der Arzt. »Dieser Mann?«
    Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat. »Ich bin unschuldig«, sage ich. »Ich
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