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Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Titel: Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
Autoren: Henning Mankell
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nickte.
    »Ich muß mal wieder in die Kirche gehen«, sagte er. »Zum Teufel, ich muß wieder in die Kirche.«
    Erneut wurde die Tür geöffnet. Die Mutter vom Windhund kam wieder.
    »Der Vater des Jungen ist da«, sagte sie. »Sie müssen jetzt gehen. Sie sehen ja, daß dem Jungen nichts fehlt.« »Gott sei Dank«, sagte Eklund.
    »Dann passsen Sie also in Zukunft besser auf«, sagte die Mutter vom Windhund. »Ihr Busfahrer bildet euch ein, ihr könntet wer weiß wie drauflosfahren.« »Ich fahre nie zu schnell«, sagte Eklund. Joel merkte, daß seine Stimme böse klang.
    »Wir wissen doch, wie es ist«, sagte die Mutter vom Windhund und scheuchte ihn hinaus, wie man eine Katze, die nicht drinnen sein darf, hinausscheucht.
    Dann kam Samuel ins Zimmer.
    Joel dachte, es sei das beste, so jämmerlich wie möglich auszusehen.
    Samuels Gesicht war ganz weiß. Er atmete heftig, als ob er den ganzen Weg vom Wald zum Krankenhaus gelaufen wäre.
    Er setzte sich auf die Tischkante und sah Joel an.
    Joel beschloß, die Augen zuzumachen.
    Es war ganz still im Zimmer.
    Noch eine Art Stille, dachte Joel, nicht wie gestern im Wald. Nicht wie nachts, wenn ich aufwache. Oder wenn Frau Nederström jemanden am Haar zaust. Eine ganz neue Stille. Die Stille des Mirakels.
    »Die Kartoffeln sind im Ranzen«, sagte Joel. »Aber die Milchflasche ist wohl kaputtgegangen.«
    Da bekam er plötzlich Angst. Ganz plötzlich kam sie. Als er an die Milchflasche dachte, die kaputtgegangen war. Die Glassplitter und die weiße Milch, die ausgelaufen war. Das hätte er sein können.
    Die Milchflasche hätte sein Körper sein können, der in tausend Stücke zersprang. Aber jetzt lag er hier auf dem Tisch, zugedeckt mit zwei Laken, und hatte nicht eine Schramme abbekommen.
    Doch obwohl er nicht verletzt war, fühlte er plötzlich Schmerzen.
    Es war ein ganz stiller Schmerz.
    Er schloß die Augen und hörte, wie die Mutter vom Windhund ins Zimmer kam. »Der Junge ist müde«, sagte sie leise.
    »Ist er wirklich nicht verletzt?« fragte Papa Samuel.
    »Der Doktor ist ganz sicher«, sagte die Mutter vom Windhund. »Aber er hat natürlich einen Schreck gekriegt. Deswegen behalten wir ihn heute nacht hier.«
    Joel fühlte, wie er vom Untersuchungstisch zu einem Bett hinübergehoben wurde.
    Er guckte vorsichtig und sah, daß er einen Korridor entlanggerollt wurde. Eine Tür wurde geöffnet, und er wurde in ein anderes Bett gehoben.
    »Kann ich hierbleiben?« hörte er Papa Samuel fragen.
    »Natürlich«, antwortete die Mutter vom Windhund.
    »Klingeln Sie, falls etwas ist.«
    Ein Mirakel, dachte Joel.
    Jesus wandelte über das Wasser. Und ich werde vom Bus nach Ljusdal überfahren, ohne eine Schramme abzukriegen.
    Wieder guckte er vorsichtig.
    Samuel saß auf einem Stuhl am Fenster.
    Joel wußte, woran er dachte.
    An Jenny. Mama Jenny, die eines Tages mit einem Koffer verschwunden ist; und seitdem mußten sie zusehen, wie sie allein zurechtkamen.
    Joel wußte, daß Samuel jedesmal an sie dachte, wenn etwas Ungewöhnliches oder Unerwartetes geschah. Dann saß er auf der Küchenbank oder der Bettkante und starrte vor sich hin. Joel versuchte, die gleichen Gedanken wie Samuel zu denken. Manchmal hatte er ein Gefühl, als ob es ihm gelang. Aber nicht immer.
    Und jetzt war er viel zu müde, obwohl es doch erst Nachmittag war. Durchs Fenster sah er die Sonne. Im Zimmer wuchsen die Schatten, und er wußte, es war die Dämmerung.
    Joel schlief ein und schlief durch bis zum nächsten Morgen.
    Samuel war die ganze Nacht im Krankenhaus geblieben. Er ging auch nicht zu seiner Arbeit im Wald. In einem schwarzen Taxi fuhren sie nach Hause. »Muß ich nicht zur Schule ?« fragte Joel. »Heute nicht. Morgen«, antwortete Samuel.
    »Und mußt du nicht in den Wald, Bäume fällen?« »Heute nicht. Morgen. Jetzt bleiben wir zu Hause.« Joel ging in sein Zimmer.
    Hier wohnte er. Hier würde er weiter wohnen, obwohl er ein Mirakel erlebt hatte.
    Samuel machte Speckpfannkuchen. Sie brannten an, aber Joel beschwerte sich nicht.
    »Was ist ein Mirakel?« fragte er.
    Samuel schien erstaunt über die Frage.
    »Das mußt du den Pastor fragen.«
    »Aber als ich vom Bus überfahren wurde? Und nicht eine einzige Schramme kriegte ?«
    »Du hattest Glück«, sagte Samuel. »Ein unglaubliches Glück. Nur Leute, die an höhere Mächte glauben, reden von Mirakel.«
    Joel fragte nicht weiter. Samuels Stimme war anzuhören, daß er nicht mehr über das Mirakel reden wollte. Joel wußte, daß er
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