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Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung

Titel: Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
Autoren: Henning Mankell
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wir uns etwa im Dunkeln umziehen und in den Pausen ohne Licht Kaffee trinken?«
    »Ihr trinkt keinen Kaffee«, antwortete Engman wütend. »Ihr trinkt Schnaps, und dann seid ihr so beduselt, daß ihr kaum noch die Instrumente halten könnt.«
    »Nimm das zurück!« brüllte Kringström. »Sonst kannst du dir ein anderes Orchester suchen.«
    Der Streit hörte genauso schnell auf, wie er angefangen hatte. Engman verschwand brummend durch die Hintertür.
    Joel kam heran.
    Kringström sah ihn erstaunt an.
    »Was ist das denn«, sagte er, »ein Zwerg mit Hut?« »Ich bin's. Ich will doch Saxophon spielen lernen«, sagte Joel und lüftete den Hut. Kringström brach in Lachen aus. Dann erklärte er den anderen Orchestermitgliedern, wer Joel war. Als ob Joel ein Erwachsener wäre, gaben sie ihm alle der Reihe nach die Hand. Rost hieß Einar mit Vornamen. Der fetteste Schlagzeuger der Welt hatte eine so große Hand, daß es ein Gefühl war, als ob Joels Hand darin verschwände.
    »Wir müssen uns beeilen«, rief Kringström. »Gleich stürzt sich die Wolfsmeute auf uns!«
    Joel half Instrumente tragen.
    »Welche Wolfsmeute?« fragte er Rost.
    »Das Publikum«, sagte Rost. »Es ist eine Wolfsmeute. Wenn wir nicht gut spielen, fressen sie uns auf.« Bald waren die Instrumente ausgepackt, die Notenblätter lagen in der richtigen Reihenfolge, und sie fingen an, ihre Instrumente zu stimmen. Hin und wieder nahmen sie einen Schluck aus einer Flasche, die von Hand zu Hand ging. Direktor Engman kam auf die Bühne und sagte, er habe eine neue Glühlampe eingeschraubt.
    »Jetzt ziehen wir uns um«, sagte Kringström zu Joel. »Bleib auf der Bühne und paß auf die Instrumente auf.«
    Joel ist allein auf der Bühne. Plötzlich ist der Saal vor der Tribüne voller Menschen. Alle warten darauf, daß Joel Gustafsons Orchester anfängt zu spielen. Joel tut das, was er meint, tun zu müssen. Er stampft auf den Fußboden, zählt bis vier und hebt das Saxophon an den Mund.
    Kringström steht hinter den Kulissen und bindet sich eine Fliege. Er bemerkt Joels Soloauftritt und macht den anderen aus dem Orchester ein Zeichen. Dann kommen sie auf die Bühne gestürzt und beginnen auch, auf eingebildeten Instrumenten zu spielen. Als Joel sie kommen sieht, hört er auf zu spielen. Aber Kringström feuert ihn an. Noch eine Stille, denkt Joel. Das Orchester der lautlosen Instrumente.
    Plötzlich ertönt Kringströms Stimme.
    »Jetzt müssen wir uns aber wirklich umziehen, bevor die Wolfsmeute kommt.«
    »Das klang richtig gut«, sagt der fetteste Schlagzeuger der Welt und klopft Joel mit seiner riesigen Hand auf die Schulter.
    Joel wird rot. Es war doch nur ein Spiel! Ein Spiel, für das jemand, der bald zwölf Jahre alt wird, zu alt ist. Plötzlich spürt er die Unruhe wieder herankriechen. Kein Spiel der Welt kann die Wirklichkeit ändern. Sie ist, wie sie ist. Bald kommen Sara und Samuel. Und Gertrud und der Käsemann. Und die Wolfsmeute.
    Er betrachtet den hohen Vorhang, der hinter dem Orchester hängt. Er ist wie ein riesiges Gemälde, größer als das Altargemälde in der Kirche. Auf dem Gemälde ist Sommer. Ein blauer glitzernder See. Grüne Birken. Am Himmel hängt eine Möwe. Joel geht hinter den Vorhang. Dort ist es staubig und dunkel. Aber eigentlich ist er aus dem Herbst in den Sommer hineingestiegen. So müßte es sein. Man müßte in einem Haus wohnen, in dem jedes Zimmer eine andere Jahreszeit ist. Da könnte man wählen. Die Küche könnte Sommer sein und das Schlafzimmer Frühling. Die Vorratskammer Winter und der Vorraum Herbst. Er entdeckt ein Guckloch im Vorhang. Mitten durch eine der weißen Birken kann er in den Saal hinaussehen. Jetzt kommen die Leute. Mädchen mit aufgesteckten Haaren auf hohen Absätzen. Jungen in schwarzen spitzen Schuhen und gelecktem Haar. Joel sieht, daß bei den Schwingtüren am hinteren Ende des Saals Gedränge herrscht. Direktor Engman fuchtelt mit den Armen. Plötzlich wird es schwarz vor Joels Augen. Rost geht über die Bühne und stimmt seine Baßgeige. Mehr und mehr Leute strömen in den Saal. Das Licht ist gedämpft. Es ist schon sehr laut. Die Mädchen stehen in Trauben an der einen Wand. Joel weiß, daß sie Wand der spitzen Gipfel genannt wird. Auf der anderen Seite sind die Jungen. Jemand scharrt über den Fußboden wie ein Pferd. Ein anderer haut jemandem auf den Rücken. Mehr und mehr Leute kommen. Aber Sara und Samuel nicht. Und der Käsemann und Gertrud auch nicht. Das Orchester hat Platz
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