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Jodeln und Juwelen

Jodeln und Juwelen

Titel: Jodeln und Juwelen
Autoren: Charlotte MacLeod
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schnurstracks zum
Erfrischungspavillon. Sie hatte sich ihren Tee redlich verdient und würde sich
keinen Tropfen davon entgehen lassen.
    Wie erwartet wurde sie überall im
Pavillon gebeten, sich dazuzusetzen, doch sie lächelte nur freundlich und begab
sich zu dem kleinen Tisch ganz hinten in der Ecke, wo Marcia Pences
liebenswürdige alte Mutter, Adelaide Sabine, ganz allein saß.
    Mrs. Sabine trug den breitkrempigen
flachen grauen Strohhut, den sie sich 1927 für Ascot zugelegt hatte. Eigentlich
sah der Hut immer noch recht passabel aus, dachte Emma. Was man von der armen
Adelaide leider nicht sagen konnte. Vor ihr standen eine Tasse Tee und ein
Teller mit Obsttörtchen, doch sie hatte beides kaum angerührt. Emma holte sich
einen Stuhl und setzte sich zu der alten Dame. »Adelaide, wie schön, Sie zu
sehen. Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?«
    »Liebend gern. Ich warte auf Marcia und
Parker« — Marcia war Adelaides Tochter und Parker entweder ihr Schwiegersohn
oder ihr Enkel, je nachdem ob sie Parker II oder Parker III meinte — »aber wenn
mich meine alten Ohren nicht täuschen, spielen sie noch. Ihre reizende Mrs.
Heatherstone hat mir diese köstlichen Törtchen gebracht. Darf ich Ihnen eins
davon anbieten?«
    »Nein, danke, im Moment nicht. Ich
brauche zuerst etwas Herzhaftes. Aus dem Fenster zu springen macht hungrig,
wissen Sie. Diesmal war es sogar richtig aufregend. Einer der Männer hat eine
Rauchbombe hinter mir gezündet. Wahrscheinlich stinke ich wie ein
Räucherhering.«
    »Ganz und gar nicht«, erwiderte die
alte Dame höflich. »Ich bedaure sehr, dass ich nicht dabei sein konnte, aber
ich hätte die vielen Menschen nicht ertragen. Außerdem habe ich ihre Vorführung
im Damenclub während der Brandschutzwoche gesehen. Ich weiß wirklich nicht, wie
Sie das immer schaffen. Haben Sie denn gar keine Angst?«
    »Wahrscheinlich hätte ich das, wenn Bed
noch leben würde. Aber nach seinem Tod sind mir Leib und Leben nicht mehr so
wichtig.« Einer betagten Witwe konnte Emma ihre Gefühle ruhig anvertrauen. Die
jungen Leute wollten nichts davon hören und regten sich immer schrecklich auf,
wenn sie so etwas sagte.
    Doch selbst Mrs. Sabine schien ihr
nicht zu glauben. »Unsinn. Sie haben noch ein langes Leben vor sich. Wenn ich
es nicht besser wüsste, würde ich Sie höchstens auf fünfundfünfzig schätzen.«
    Das war sicher ein wenig übertrieben,
auch wenn man Emma Kelling durchaus als stattliche Erscheinung bezeichnen
konnte, falls dieser Ausdruck überhaupt noch in Mode war. Sie besaß einen
frischen Teint, hielt sich gerade, und ihr Haar war genauso blond wie eh und
je. Vielleicht sogar noch ein bisschen blonder. Selbst die Falten standen ihr
gut. Sie schlüpfte aus ihrer Tweedjacke und enthüllte eine lindgrüne langärmelige
Seidenbluse, ab sechzig blieb einem ja leider nichts anderes übrig, als sich
mit seinen schrumpeligen Ellbogen abzufinden, und hielt hoffnungvoll nach
jemandem Ausschau, der sie bedienen konnte. »Aber Ihnen geht es wieder ein
wenig besser, nicht wahr, Adelaide?«
    »Jedenfalls besser als letzten Winter.
Aber ich bin immer noch recht wackelig auf den Beinen. Marcia besteht darauf,
dass ich diesen Sommer nicht auf die Insel fahre, und mein Arzt ist derselben
Meinung. Er sagt, er hätte mich lieber in seiner Nähe.«
    »Und wie fühlen Sie sich — oh, vielen
Dank, Mrs. Heatherstone.«
    Natürlich brauchte Emma nur so lange zu
warten, bis die Nachricht von Mrs. Kellings Ankunft das Küchenzelt erreicht
hatte. Und selbstverständlich bekam sie umgehend ihren Earl Grey Tee und ihre
Lieblingssandwiches. Außerdem wurde sie von der obersten Küchenfee persönlich
bedient. Mr. und Mrs. Heatherstone führten Emma seit siebenunddreißig Jahren
den Haushalt. Wie immer waren sie tatkräftig und gut gelaunt eingesprungen,
bereit, ihre Mrs. Kelling bei jedem noch so exzentrischen Unterfangen nach
besten Kräften zu unterstützen. Sie waren schon mit größeren Menschenmengen als
dieser fertig geworden. Selbst wenn sie manchmal erst wenige Stunden vorher
erfahren hatten, was ihnen blühte, hatten sie sich noch nie beklagt. Doch jetzt
hatten sie sich den ganzen Sommer frei genommen. Was sollte Emma ohne ihre
beiden guten Geister bloß anfangen? Sie kämpfte ihre momentane Verzweiflung
nieder und wandte sich wieder der gebrechlichen alten Dame am Tisch zu. »Und
wie fühlen Sie sich bei dem Gedanken, nicht auf Ihre Insel fahren zu können?«
    Mrs. Sabine griff nach ihrer Gabel und
spießte
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