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Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Titel: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
Autoren: Michael Ende
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als er alles betrachtet hatte. Jim machte wieder kugelrunde Augen.
    Dann drückte Lukas auf den Klingelknopf. Darauf öffnete sich eine kleine Klappe in der riesigen Ebenholztür. Ein dicker gelber Kopf schaute heraus und grinste die beiden Freunde liebenswürdig an. Natürlich gehörte zu diesem Kopf ein ebenso dicker Körper, aber den konnte man nicht sehen, wei l er hinter der Tür verborgen blieb. Der dicke gelbe Kopf fragte mit hoher Fistelstimme:
    »Was wünschen die erlauchten Herrschaften?«
    »Wir sind zwei ausländische Lokomotivführer«, antwortete Lukas. »Und wir möchten gern den Kaiser von Mandala sprechen, wenn es sich machen läßt.«
    »In welcher Angelegenheit wünschen Sie unseren erhabenen Kaiser zu sprechen?« fragte der Kopf und lächelte gewinnend. »Das werden wir ihm am besten selber sagen«, meinte Lukas.
    »Leider ist es ganz unmöglich, sehr ehrenwerter Führer einer liebreizenden Mokolotive«, säuselte der Kopf über dem unsichtbaren Körper und grinste immer liebenswürdiger, »ganz und gar unmöglich, unseren erhabenen Kaiser zu sprechen. Oder haben Sie vielleicht eine Einladung?«
    »Nein«, sagte Lukas verdutzt, »wozu denn?«
    Der dicke gelbe Kopf in der Tür klappe erwiderte:
    »Verzeihen Sie mir unwürdiger Blattlaus, aber dann darf ich Sie nicht einlassen. Der Kaiser hat keine Zeit.«
    »Aber irgendwann im Laufe des Tages«, meinte Lukas, »hat er doch sicher mal Zeit für uns.«
    »Ich bedaure überaus!« entgegnete der Kopf und lächelte zuckersüß von einem Ohr bis zum anderen. »Unser erhabener Kaiser hat niemals Zeit. Entschuldigen Sie mich!« Und damit schloß sich die Klappe mit einem Knall.
    »Verflixt und zugenäht!« brummte Lukas vor sich hin. Während sie die neunundneunzig Stufen aus Silber wieder hinunterschritten, sagte Jim: »Ich hab’ das Gefühl, der Kaiser würde vielleicht schon Zeit für uns haben. Der dicke gelbe Kopf will uns nur nicht ‘reinlassen.«
    »Das ist es ja«, knurrte Lukas grimmig.
    »Und was wollen wir jetzt machen?« fragte Jim.
    »Jetzt schauen wir uns erst mal in der Stadt um«, sagte Lukas unternehmungslustig. Wenn er ärgerlich war, dann blieb er es nie lange.
    Sie überquerten den Platz, auf dem sich eine riesige Menschenmenge angesammelt hatte. Aus ehrfurchtsvoller Entfernung staunten die Mandalanier die Lokomotive an. Emma war das sehr peinlich. Sie hatte die Scheinwerferaugen verschämt niedergeschlagen. Als Lukas auf sie zutrat und sie auf den Leib klopfte, atmete sie erleichtert auf.
    »Hör zu, Emma«, sagte Lukas, »Jim und ich, wir gehen jetzt ein bißchen in die Stadt. Bleib schön hier und halt dich still, bis wir zurück sind.« Emma seufzte ergeben.
    »Es dauert bestimmt nicht lange«, tröstete sie Jim. Dann machten sie sich auf den Weg.
    Stundenlang schlenderten die beiden Freunde durch die enge n Gassen und die bunten Straßen, und es war einfach ungeheuer, was es da alles Fremdartiges und Merkwürdiges zu sehen gab.
    Zum Beispiel die Ohrenputzer! Die Ohrenputzer arbeiteten so ähnlich wie bei uns die Schuhputzer. Sie hatten auf der Straße bequeme Stühle aufgestellt, darauf mußte man sich setzen. Und dann wurden einem die Ohren geputzt. Aber nicht nur so einfach mit dem Waschlappen, o nein! Das war eine lange und kunstvolle Prozedur. Jeder Ohrenputzer hatte ein kleines Tischchen mit einer silbernen Platte, und darauflagen unzählige kleine Löffelchen und Pinselchen und Stäbchen und Bürstchen und Wattebäuschchen und Döschen und Töpfchen. Und damit machte er sich ans Werk.
    Die Mandalanier gehen sehr gerne zum Ohrenputzer. Erstens natürlich aus Reinlichkeit, zweitens aber auch, weil es so angenehm kitzelt und kribbelt, wenn der Ohrenputzer ganz vorsichtig seine Arbeit verrichtet. Das mögen die Mandalanier sehr.
    Dann gab es auch noch die Haarzähler, die einem die Haare auf dem Kopf zählen. Denn in Mandala ist es wichtig zu wissen, wie viele Haare man hat. So ein Haarzähler hat eine winzig kleine, flache goldene Zange, mit der er jedes Haar einzeln fassen kann. Er zählt immer hundert Haare zusammen, und dann bindet er um das Büschel ein Schleifchen. Und das macht er so lange, bis der ganze Kopf voller Schleifchen ist. Neben ihm sitzt sein Haarzählergehilfe, der alles zusammenrechnet. Natürlich dauert es oft viele Stunden, bis alle Haare gezählt sind. Bei manchen Leuten geht es allerdings auch sehr schnell, denn auch in Mandala kommt es vor, daß jemand nur noch drei oder zwei Haare auf dem Kopf
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