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Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Titel: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
Autoren: Michael Ende
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müssen es tun.«
    »Was müssen wir tun, Majestät?« fragte Lukas. »Habe ich das nicht eben gesagt?« murmelte der König enttäuscht. »Ich dachte schon, ich hätte es eben gesagt.«
    »Nein«, antwortete Lukas, »Sie haben nur gesagt, daß wir etwas tun müssen.«
    Der König blickte versonnen vor sich hin. Nach einer Weile schüttelte er verwundert den Kopf und sagte:
    »Seltsam, ich hätte wetten können, daß ich eben gesagt habe, wir müßten die alte Emma abschaffen.«
    Lukas dachte, er hätte nicht recht gehört, darum fragte er: »Was müssen wir Emma?«
    »Abschaffen«, antwortete der König und nickte ernst. »Es muß natürlich nicht sofort sein, aber doch so bald wie möglich. Ich weiß wohl, es ist für uns alle ein schwerer Entschluß, uns von Emma zu trennen. Aber wir müssen es tun.«
    »Niemals, Majestät!« sagte Lukas entschlossen. »Und außerdem: wieso überhaupt?«
    »Sieh mal«, meinte der König begütigend, »Lummerland ist ein kleines Land; ein ganz außerordentlich kleines Land sogar im Vergleich zu anderen Ländern wie Deutschland oder Afrika oder China. Für einen König, eine Lokomotive, einen Lokomotivführer und zwei Untertanen reicht es gerade. Aber wenn nun noch ein Untertan dazukommt…«
    »Es ist aber doch nur ein halber!« warf Lukas ein.
    »O gewiß, gewiß«, gab der König kummervoll zu, »aber wie lange noch? Er wird von Tag zu Tag größer. Ich muß an die Zukunft unseres Landes denken, dafür bin ich der König. Es wird gar nicht mehr lange dauern, dann ist Jim Knopf ein ganzer Untertan. Und dann will er sich doch ein eigenes Haus bauen. Nun sage mir bitte, wo sollen wir noch ein Haus hinstellen? Es ist doch überhaupt kein Platz mehr da, weil jede freie Stelle voller Gleise ist. Wir müssen uns einschränken. Es hilft nichts.«
    »Verflixt!« brummte Lukas und kratzte sich hinter dem Ohr.
    »Siehst du«, fuhr der König eifrig fort, »unser Land leidet jetzt einfach an Überbevölkerung. Fast alle Länder der Welt leiden daran, aber Lummerland besonders. Ich mache mir schreckliche Sorgen. Was sollen wir tun?«
    »Ja, ich weiß es auch nicht«, sagte Lukas.
    »Entweder müssen wir Emma, die Lokomotive, abschaffen, oder einer von uns muß auswandern, sobald Jim Knopf ein ganzer Untertan ist. Du bist doch Jims Freund, lieber Lukas. Willst du, daß der Junge von Lummerland weggehen muß, sobald er groß geworden ist?«
    »Nein«, sagte Lukas traurig, »das sehe ich schon ein.« Und nach einer kleinen Weile fügte er hinzu: »Aber von Emma kann ich mich auch nicht trennen. Was ist denn ein Lokomotivführer ohne eine Lokomotive?«
    »Nun denn«, meinte der König, »denke einmal darüber nach. Ich weiß, daß du ein vernünftiger Mann bist. Du hast ja noch etwas Zeit, dich zu entscheiden. Aber ein Entschluß muß gefaßt werden.«
    Und er gab Lukas die Hand, zum Zeichen, daß die Audienz beendet war.
    Lukas erhob sich, setzte seine Mütze auf und verließ mit gesenktem Kopf den Palast. Der König sank seufzend in seinen Sessel zurück und wischte sich mit seinem seidenen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Das Gespräch hatte ihn sehr angegriffen.
    Lukas ging langsam zu seiner kleinen Station hinunter, wo Emma, die Lokomotive, stand und auf ihn wartete. Er klopfte ihr den dicken Leib und gab ihr etwas Öl, weil sie das besonders gerne mochte. Dann setzte er sich an die Landesgrenze und stützte den Kopf in die Hände. Es war einer von den Abenden, an denen das Meer glatt und still dalag. Die untergehende Sonne spiegelte sich im endlosen Ozean und baute mit ihrem Licht eine goldene glitzernde Straße vom Horizont bis vor die Füße des Lokomotivführers Lukas.
    Lukas schaute auf diese Straße, die in weite Fernen führte, in unbekannte Länder und Erdteile, niemand konnte sagen, wohin. Er sah zu, wie die Sonne langsam unterging und wie die Straße aus Licht immer schmaler und schmaler wurde und zuletzt verschwunden war.
    Er nickte traurig und sagte leise: »Gut. Wir werden gehen. Alle beide.«
    Ein leichter Wind wehte vom Meer herüber, und es wurde ein wenig kühl. Lukas erhob sich, ging zu Emma und betrachtete sie lange. Emma merkte wohl, daß irgend etwas geschehen war. Lokomotiven haben zwar keinen großen Verstand - deshalb brauchen sie ja auch immer einen Führer -, aber sie haben ein sehr empfindbares Gemüt. Und als Lukas nun leise und traurig »Meine gute alte Emma!« murmelte, da wurde ihr so weh zumut, daß sie aufhörte zu schnaufen und den Atem
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