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Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Titel: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
Autoren: Michael Ende
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seine Miene hatte sich zusehends verdüstert.
    »So eine Gemeinheit ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen!« polterte er nun los. »So ein kleines Kerlchen in einen Karton zu packen! Was da alles hätte passieren können, wenn wir nicht aufgemacht hätten! Na, wenn ich den Burschen, der das gemacht hat, jemals erwische, der bekommt von mir eine Tracht Prügel, an die er sich sein Lebtag erinnern wird, so wahr ich Lukas der Lokomotivführer bin!«
    Als das Baby hörte, wie Lukas vor sich hin grollte, begann es z u weinen. Es war ja noch viel zu klein, um irgend etwas zu verstehen, und glaubte, es würde ausgeschimpft. Außerdem war es auch erschrocken vor dem großen schwarzen Gesicht von Lukas, denn es wußte ja noch nicht, daß es selber auch ein schwarzes Gesicht hatte.
    Frau Waas nahm das Kind schnell auf den Arm und tröstete es. Und Lukas stand dabei und machte ein ganz bekümmertes Gesicht, weil er doch das Baby gar nicht hatte erschrecken wollen.
    Frau Waas war unbeschreiblich glücklich, denn sie hatte sich schon immer ein Kind gewünscht, für das sie abends kleine Jacken und Hosen nähen konnte. Sie schneiderte nämlich für ihr Leben gern. Und daß das Baby schwarz war, fand sie ganz besonders nett, weil das zu rosa Stoff so hübsch aussah, und Rosa war ihre Lieblingsfarbe.
    »Wie soll es denn heißen?« fragte der König plötzlich. »Das Kind muß doch einen Namen haben.«
    Das war richtig, also begannen alle, angestrengt zu überlegen. Endlich sagte Lukas:
    »Ich würde es Jim nennen, denn es wird ein Junge werden.« Dann wandte er sich zu dem Baby und sagte mit einer ganz vorsichtigen Stimme, um es nicht wieder zu erschrecken: »Na, Jim, wollen wir Freunde sein?«
    Da streckte das Baby seine kleine schwarze Hand mit den rosa Handballen nach ihm aus, und Lukas ergriff sie behutsam mit seiner großen schwarzen Hand und sagte: »Hallo, Jim!«
    Und Jim lachte.
    Von diesem Tag an waren sie Freunde.
    Eine Woche später kam der Briefträger wieder. Frau Waa s ging zum Ufer und rief ihm schon von weitem zu, er solle ruhig weiterfahren und gar nicht erst an Land kommen. Es sei alles in bester Ordnung. Das Paket sei für sie gewesen. Der Name auf der Adresse wäre nur so unleserlich geschrieben gewesen. Während sie das sagte, klopfte ihr das Herz bis zum Hals, weil es ja geschwindelt war. Aber sie hatte so große Angst, daß der Briefträger ihr das Kind wieder wegnehmen würde. Und sie wollte Jim auf keinen Fall mehr hergeben, so gern hatte sie ihn jetzt schon.
    Der Postbote rief aber nur: »Na, dann ist ja alles gut. Guten Morgen, Frau Waas!« und fuhr wieder davon. Frau Waas atmete auf, lief schnell in ihr Haus mit dem Kaufladen und tanzte mit Jim auf dem Arm in der Stube herum. Aber auf einmal mußte sie daran denken, daß Jim in Wirklichkeit eben doch nicht ihr gehörte und sie vielleicht etwas ziemlich Schlimmes angestellt hatte. Und dieser Gedanke machte sie sehr traurig.
    Auch später, als Jim schon größer war, kam es zuweilen vor, daß Frau Waas plötzlich ernst wurde, die Hände in den Schoß legte und Jim kummervoll ansah. Dann ging ihr durch den Kopf, wer wohl die wirkliche Mutter von Jim sein mochte… »Ich werde ihm wohl bald einmal die Wahrheit sagen müssen«, seufzte sie, wenn sie dem König oder Herrn Ärmel oder Lukas ihr Herz ausschüttete. Dann nickten die anderen meistens ernst und fanden auch, daß sie es tun sollte. Aber Frau Waas schob es immer wieder hinaus.
    Freilich ahnte sie da noch nicht, daß der Tag nicht mehr fern war, an dem Jim alles erfahren würde, allerdings nicht von Frau Waas, sondern auf eine ganz andere und sehr seltsame Art.
    Nun hatte Lummerland also einen König, einen Lokomotivführer, eine Lokomotive und zweieinviertel Untertanen, denn Jim war natürlich vorläufig viel zu klein, um schon als ganzer Untertan gerechnet zu werden.
    Aber im Lauf der Jahre wuchs er heran und wurde ein richtiger Junge, der Streiche machte, Herrn Ärmel ärgerte und sich nicht besonders gerne waschen mochte - eben wie alle kleinen Buben. Das Waschen fand er besonders überflüssig, weil er ja sowieso schwarz war, und man gar nicht sehen konnte, ob sein Hals sauber war oder nicht. Aber Frau Waas ließ das nicht gelten, und Jim sah es schließlich auch ein. Frau Waas war sehr stolz auf ihn, obgleich sie sich beständig wegen irgend etwas Sorgen um ihn machte - eben wie alle Mütter. Sie machte sich auch dann Sorgen, wenn eigentlich gar kein Grund dazu da war. Oder nur
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