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Jesus von Nazaret

Jesus von Nazaret

Titel: Jesus von Nazaret
Autoren: Alois Prinz
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so lebendig werden zu lassen, dass ich das Gefühl habe, selber in dieser Zeit zu stehen. Auch der kleine Eindruck, den die Ketzerschwestern vermittelt, greift diese Form wunderbar auf. So erlebe ich Geschichte tatsächlich hautnah.

    Sabine schrieb am 01.08.11:
    Rundum ein spannendes Buch, das ohne konstruierte Dramatik auskommt, in einer einfühlsamen Sprache, die es ermöglicht, einzutauchen in diese Welt, die der unseren so fremd ist.



Effelins Garten
    K athie!«, höre ich hinter mir rufen. Dann ein erstickter Schrei und noch einmal: »Kathie!« Ich knie im Kohlbeet, schaue hinter mich. Und sehe gerade noch, wie Effelin, unsere Gartenschwester, zusammensinkt und rücklings zu Boden fällt.
    Quer über die Kohl- und Möhrenbeete bin ich bei ihr. Ich bücke mich, rüttele an ihrer Schulter.
    Â»Effelin, was ist mit dir?«, rufe ich, streiche ihr über den Kopf, über die Stirn.
    Effelin antwortet nicht. Die setzfertigen Knoblauchzehen aus ihrem Schurz liegen verstreut um sie herum.
    Â»Effelin, sprich doch! Was ist mit dir?«, flüstere ich.
    Mir ist bange. Effelin liegt ausgestreckt im frisch gehäufelten Beet. Die Arme halb ausgebreitet, die Augen starr nach oben gerichtet. Aufwärts zu den tief hängenden Oktoberwolken, die auf Regensburg zutreiben.
    Ich schlucke, blicke suchend hinüber zu unserer Hofreite*, dem Schwesternhaus. Doch ich sehe niemand, den ich zu Hilfe rufen könnte, nicht am Brunnen, nicht bei den Wirtschaftsgebäuden.
    Â»Schnell, tu was, Kathie!«, sage ich mir.
    Ich knie mich neben sie, fasse nach Effelins Hand, suche ihren Puls und finde ihn nicht. An meinen Fingern klebt Erde, vielleicht liegt es daran. Dann plötzlich spüre ich eine Folge von kräftigen Schlägen. Wie wenn das Blut in den Adern kochen würde, dann stockt der Puls abermals, meldet sich wieder zurück, mal schneller, mal langsamer.
    Â»Ich rufe die Schwestern!«, flüstere ich Effelin zu. »Gute Muttergottes, stehe ihr bei!«, murmele ich und bekreuzige mich.
    Und gleich renne ich los. Springe über die zum Einkellern aufgereihten Kohlköpfe, hüpfe über die Winterrüben, laufe an unserem Bienenhaus vorbei, den Walnussbäumen, dem Kräuterhaus, auf den Weg zu, der zum Schwesternhaus führt. Mit zwei Sätzen bin ich die Treppe hinauf und stoße gegen den Türflügel. Polternd fliegt er auf.
    Â»Schnell, kommt!«, bringe ich schluchzend hervor. »Effelin ist was passiert!«
    Drei Frauen befinden sich im Arbeitsraum. Märthe und Elspet halten ihre Spindeln an. Ina am Lesepult, meine Zwillingsschwester, legt die Hand ans Herz.
    Â»Nun kommt doch!«, rufe ich. »Effelin stirbt!« Ich schlage meine Hände vors Gesicht und schluchze.
    Die drei fahren hoch, rufen, fragen durcheinander. Ich bringe kein Wort hervor, stolpere die Stufen hinab und renne ihnen voran zum Gartenland bei den Walnussbäumen.
    Genau so, wie ich sie verlassen habe, liegt unsere Gartenschwester da. Wie leblos, den Blick unbewegt in die Wolken gerichtet.
    Feiner Regen hat eingesetzt. Zu viert stehen wir um Effelin, unfähig uns zu rühren.
    Dann bückt sich Elspet zu ihrem Gesicht. »Es ist Leben in ihr!«, sagt sie leise. »Es zuckt ihr um den Mund!«
    Märthe bekreuzigt sich. »Das ist der Schlag«, sagt sie tonlos. »Die Hand Gottes. So lag mein Simon auch da, als er von uns ging.«
    Wir alle bekreuzigen uns.
    Dann tragen wir Effelin durch den stäubenden Regen zum Kräuterhaus, wo Effelin und ich unseren Schlafplatz haben.
    Â»Sie lässt alles unter sich«, sagt Märthe, unsere Meisterin. »Alles ist genau wie bei Simon. Es ist der Schlag, die Gotteshand!«
    Â»Ihr Zwillinge, ihr habt junge Füße, holt Wasser, dass Effelin auf ihr Lager kommt«, sagt Elspet zu Ina und mir.
    An zwei Jochstangen tragen wir Wasser vom Brunnen ins Kräuterhaus. Stumm, ohne Worte zu wechseln. Für uns beide ist es das erste Mal, dass wir Todesnähe unmittelbar erleben. Als Mutter vor sechs, sieben Jahren plötzlich verstarb, waren wir beide noch fast in unseren Kinderschuhen. Die Erinnerung an Mutters Tod bleibt für mich undeutlich, versteckt hinter einer Nebelwand.
    Ihren Todestag weiß ich genau. Es war der Tag vor dem »Kleinen Frauentag«, dem Geburtstag der Gottesmutter im Herbstmonat September.
    An Maria Geburt fliegen die Schwalben furt, hat Effelin mich gelehrt. Da gehen Ina und ich
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