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Jesus von Nazaret

Jesus von Nazaret

Titel: Jesus von Nazaret
Autoren: Alois Prinz
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in der Schale berochen und betrachtet hat, kehrt Enichel ans Krankenlager zurück.
    Â»Es gibt nur wenig Hoffnung für eure Schwester«, sagt er. »Gegen Gottes Hand richten auch wir nichts aus. Lasst den Priester kommen!«
    Er verabschiedet sich mit einem Gottbefohlen. Wir stehen vor der Tür und schauen zu, wie Märthe den Arzt zur Hofreite hinausbegleitet. Über seinem blauseidenen Kopfbund ragen die Mauern und Türme der Stadt in einen fahlgrauen Oktoberhimmel.
    Märthe winkt uns zu sich. »Ich gehe den Priester holen«, erklärt sie. »Und Marina kommt mit.«
    Wir schauen zu Marina hinüber. Sie ist die älteste der Schwestern, zuständig für die St.-Sixtus-Kapelle, die mit ihrem Gottesacker an unsere Hofreite grenzt. Irgendwann in den nächsten Tagen müssen wir vielleicht Effelin dort zu Grabe tragen.
    Â»Wir wollen den Heimgang unserer Schwester mit einem Fasten begleiten«, fährt Märthe fort. »Gesäuertes Wasser und Aschenbrot zu den Tageszeiten. Ava wird noch ein paar Brotreste in der Küche auftreiben. Und während ihr esst, soll Ina euch die Bußpsalmen lesen, lateinisch und deutsch. Marina und ich machen uns derweil auf den Weg.«
    Die Meisterin entscheidet nicht gern allein. Das würdendie Schwestern auch nicht dulden. Denn sie leben freiwillig hier. Ohne Klosterzwang und Gelübde, einzig und allein, um zu dienen. Sich der Siechen und Kranken, der Armen und Hilflosen in der Stadt anzunehmen. Für keinen anderen Lohn als den Gotteslohn. Nichts geschieht auf dem Schwesternhof von St. Sixtus ohne gemeinsame Absprache. Doch Effelin liegt in den letzten Zügen, die Zeit drängt, da muss Märthe schnell und allein entscheiden.
    Im Schwesternhaus umstehen wir mit gefalteten Händen das Lesepult, während Ina uns im Sprechgesang die Psalmen vorträgt.
    Â»Domine, ne in furore tuo arguas me  – Herr, strafe mich nicht in Deinem Zorn und züchtige mich nicht in Deinem Grimm!«
    Ich achte nicht auf die einzelnen Worte. Inas Stimme ist klar und fest. Es ist schön, auf Inas Stimme zu lauschen. Wenn sie vorliest, entgeht mir oft der Inhalt. Ob sie mir in der Schreibstube Rezepte aus dem Kräuterbuch vorliest oder wie jetzt, wenn Ina den Schwestern die Bußpsalmen vorträgt. Der Klang ihrer Stimme erinnert mich an das wohlige Gefühl, mit dem ich früher in Taytingen auf Mutters Stimme lauschte. Wenn Mutter uns Zwillinge in ihren Armen hielt und uns von Sonne, Mond und Sternen erzählte, von den Engeln, die im Himmel musizieren.
    Als Ina das Psalmbuch schließt, bleiben die Schwestern zusammen, um auf den Priester zu warten, der das Sterbesakrament und die Letzte Ölung für Effelin bringt.
    Ich bin es nicht gewohnt, den Tag in geschlossenen Räumen zu verbringen. Es zieht mich hinaus in den Garten, zu den Kohl- und Rübenbeeten. Effelin wird es mir nicht verübeln, Gartenarbeit war ihr Leben. Ich mache einen Abstecher zum Abtritt hinter den Walnussbäumen. Mit einem Blick durch das Sitzloch sehe ich, dass die Grube reichlich gefüllt ist. Und das ist gut. Denn um den St. Hedwig- oder den St. Gallustag pflegte Effelin den Garten zu düngen. Bevor der erste Schnee kommt und der Boden gefriert.
    Ich laufe zu dem Kohlbeet, wo ich heute früh das Weißkraut ausgewurzelt hatte. Vor dem Knoblauchbeet halte ich inne. Hier lag sie und schaute unverwandt in den Himmel, der jetzt mit seinen Engeln auf Effelin wartet. Der Boden ist zertreten, von unseren Füßen verwüstet. Ich muss das Beet neu richten, die Knoblauchzehen ausgraben und wieder reihenweise in die Erde stecken.
    Und dabei wird mir plötzlich klar, dass die ganze Gartenarbeit jetzt allein in meinen Händen liegt. Säen, pflanzen, ernten, Rüben, Möhren, Kohl, Pastinak muss ich bald in den Erdkeller einlagern, ach, und die ganze Arbeit im Bienenhaus, Apfelschnitzel und Pflaumen dörren, düngen, graben – gute Muttergottes, wie soll ich das allein mit meinen Händen schaffen?
    Nichts ist mir lieber auf der Welt, als in der Erde zu arbeiten, Erde zu riechen. Scharf und durchdringend riecht sie im Frühjahr, wenn der Boden zum Wachstum drängt, dumpf und gesättigt, wenn die Erde im Herbstermüdet ist. Ohne den Erdgeruch an meinen Händen könnte ich nicht leben. Doch ich habe nur diese beiden Hände, diese zehn Finger, und die reichen nicht, um Beete, Bäume und Bienen zu pflegen,
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