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Jesses Maria - Hochzeitstag

Jesses Maria - Hochzeitstag

Titel: Jesses Maria - Hochzeitstag
Autoren: Carla Berling
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Nummer mit dem Kunden - heißt das Kunde oder Klient in dem Gewerbe? Ob sie geduscht hatte oder sich wenigstens untenrum gewaschen hatte, fragte ich mich insgeheim.
    Ehe ich es bemerkte, war ich mit ihr am Erzählen. Gab ja schon einiges, was ich wissen wollte. Ich kannte Huren sonst nur aus dem Fernsehen, eine echte hatte ich noch nie gesehen.
    Ich fragte mich wie viele, also wie oft am Tag, also, wie viele Männer man so schaffen konnte. Das hab ich aber nicht direkt gefragt, sondern: „Arbeiten Sie jeden Tag hier?“
    „Ja, fast, und du?“, sagte sie.
    Ich schrie auf: „Ich arbeite im Büro!“
    Die Hure lachte: „Schon klar! Was machst du heute hier?“
    Ich erklärte ihr, dass wir es witzig gefunden hatten, im Puff ein Bier zu trinken und dass ich noch nie in einem gewesen war. Sie lachte, lehnte sich zurück, pustete mir Rauch ins Gesicht und sagte: „Wie gefällt es dir?“
    Ich hatte ja schon ordentlich einen im Tee, und so rückte ich mit meinem Hocker ein bisschen näher an sie ran und sagte: „Och, das ist hier ganz gemütlich, hätt ich gar nicht gedacht,aber die Männer, die finde ich zum Brechen!“
    Sie lachte wieder. „Warum?“
    „Weil die meisten besoffen und hässlich sind.“
    Die Hure machte eine abwinkende Handbewegung, dabei klirrten die silbernen Armreifen an ihrem Gelenk. Dann hob sie ihr Glas, prostete mir zu und sagte: „Ich heiße Jeanette, und du?“
    Ich hob mein Pils und sagte: „Angenehm, Maria.“
    Jeanette war natürlich ihr Künstlername, das war mir sofort klar. „Sind Sie Französin?“, fragte ich. Sie hatte so einen Akzent, den ich nicht zuordnen konnte.
    „Russin“, sagte Jeanette. Und dann erzählte sie, sie käme aus Sibirien und sei seit sechs Monaten in Deutschland.
    „Donnerwetter, dafür sprechen Sie aber gut deutsch!“, sagte ich und ich meinte das auch so.
    „Ich bin Lehrerin. In meiner Heimat habe ich Deutsch unterrichtet“, sagte die Hure.
    Jetzt war ich aber platt. War sie jetzt eine Nutte, die als Lehrerin arbeitete oder eine Lehrerin, die auch Nutte war? Man stellt sich dumme Fragen, wenn man betrunken und verlegen zugleich ist. Deswegen fragte ich wohl auch: „Und warum sind Sie dann hier, obwohl sie Abitur haben?“
    Mir fiel auf, dass ich sie siezte, obwohl sie mich duzte. Jeanette sah mich sehr spöttisch an. „Siehst du nicht fern?“
    „Doch, schon.“
    „Und dann weißt du wirklich nicht, wie Frauen wie ich hierherkommen?“
    Ich sagte nichts. Wie konnte ich auch so blöde fragen. In wenigen Sekunden sah ich unzählige Bilder vor mir: Mädchen, die illegal in Lastwagen über die Grenze geschafft werden, das hatte ich neulich erst im Tatort gesehen. Ich dachte an brutale Zuhälter und fragte mich, ob Meister Propper auch so einer war, der Frauen in dieses Geschäft zwang. Ich dachte an Not und Verzweiflung, die sie hierher geführt hatten, ich dachte an verwahrloste Mädchen, die sich Geld für Drogen auf der Straße verdienten.
    Mein Mitleid tat mir gut.
    Ich konnte mich jetzt nicht mehr mit Jeanette unterhalten, und so guckte ich mir den fetten Mann an, der inzwischen schwankend vor der Theke stand. Er trug einen Blaumann, morgens um vier. So roch er auch: nach schmutziger Arbeit, nach altem Schweiß und warmer Leberwurst.
    „Hassu n bisschen Sseit fr mich?“, lallte er und stierte Jeanette mit glasigen Augen an. Igitt. Ich stellte mir vor, wie man das aushalten kann. Jeanette lächelte, nahm ihre Handtasche und sagte zu dem Stinker: „Klar, Schatzi.“
    Sie gab mir die Hand.
    „Wie halten Sie das aus?“, flüsterte ich. Sie lächelte wieder, aber nicht mit den Augen.
    „Genau wie Du, Maria, ich mache die Augen zu und warte, bis es vorbei ist.“ Dann verschwand sie mit dem Stinker. Er war einen Kopf kleiner als sie.
    Ich konnte nicht schlafen, obwohl wir erst um fünf zu Hausewaren. Diese Jeanette hatte mich schwer beeindruckt. Am nächsten Tag unterhielt ich mich mit meiner Freundin Heidi.
    Ich fand es ehrlich gesagt ein bisschen schick zu sagen: „Stell dir mal vor, ich war gestern im Puff.“
    Aber Heidi fand das gar nich schick, sie flippte völlig aus und schrie mich an: „Das ist ja wohl das Letzte! Wie kannst du sowas auch noch unterstützen! Und dass ihr nur Kaffee getrunken habt, ist schon schlimm genug. Ich fasse es nicht, Maria, musst du dich unbedingt für solchen Abschaum interessieren?“
    So hysterisch hatte ich Heidi noch nie gesehen. Sie zeterte weiter: „In solchen Spelunken wird nämlich eine Nachfrage
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