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Jemand Anders

Jemand Anders

Titel: Jemand Anders
Autoren: Franz Kabelka
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heimische Bahnsystem herziehen: Es war richtig, Reginas Angebot, mich mit dem Wagen abzuholen, auszuschlagen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und wieder mal mit dem Zug fahren, habe ich erklärt und alle Einwände, es könnte auf der langen Fahrt Probleme mit der Wunde geben, beiseite gewischt.
    „Bin ja nicht aus der Welt. Und für den Fall des Falles hab ich ja noch das neue Tratschophon!“
    Ihr tolles Geschenk. Innerhalb kürzester Zeit ist schon wieder ein neues Handy fällig geworden, weil das andere beim Unfall verloren ging. Irgendwo in der Nähe der Sautränke werden jetzt die Ameisen damit spielen. Oder hat es sich einer meiner Retter unter den Nagel gerissen? Jedenfalls hat Regina mir die schwarz glänzende Wunderdose gleich bei ihrem ersten Besuch im Krankenhaus mitgebracht. In Goldfolie verpackt, als hätte ich einen runden Geburtstag.
    „Ein Android“, schwärmte sie. „Voll smart. Das spielt noch etliche Stückln mehr als das vorige. Sogar ein Navi hast du da drauf. Damit du mir nicht mehr verloren gehst.“
    Schon wie sie es mir in die Hand drückte und darauf bestand, das Paket sofort aufzumachen, verriet: Sie hatte an dem teuren Ding weit mehr Freude als ich. Erst das dritte Mobiltelefon meines Lebens, aber bereits das zweite innerhalb weniger Wochen. Bis vor kurzem war ich noch mit dem großen, schweren Ericsson unterwegs gewesen. Bin immer gut gefahren damit, auch wenn es, zugegeben, mit seiner Haifischflosse ein wenig vorsintflutlich gewirkt hat. Regina konnte es nicht ausstehen, sie nannte es altvaterisch . Altvaterisch, das ist überhaupt ihr Lieblingswort, wenn es um mein Verhältnis zu technischem Krimskrams geht. Wieso regst du dich auf, sagte ich, bei Handtaschen stehst du doch auch auf Retrolook? Nach Retro aussehen und altvaterisch sein ist nun einmal nicht dasselbe, meinte sie. Weibliche Logik! Sicher, das Ericsson war zu nichts anderem zu gebrauchen als zum Telefonieren, und vielleicht noch als Waffe. Was hast du gegen meinen Totschläger?, habe ich gescherzt und dabei mit der massiven Gummischale auf den Tisch geklopft, so wie man auf Holz klopft, um das Schicksal zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Warum etwas wegwerfen, solange es funktioniert? Außerdem hatte das Gewicht des Ericsson einen im Alter nicht zu unterschätzenden Vorteil: Ich fand es auf der Stelle, egal, in welch verborgener Tasche es auch stecken mochte. Ein SMS darauf zu schreiben, kostete allerdings Nerven, so träge, wie die Tasten reagierten. Aber wozu überhaupt SMS schreiben? Um alle paar Sekunden bekannt zu geben, wo ich mich gerade befinde, wie die Halbwüchsigen heutzutage? Also bitte! Und geschäftliche Dinge lassen sich telefonisch ohnehin effizienter erledigen; oder, wenn es unbedingt schriftlich sein muss, per Mail. Mit dem Eineinhalbfingersuchsystem, wie Regina meine Schreibmethode nennt. Was auch zutrifft: Seit ich beim Holzhacken ein Glied meines rechten Zeigefingers eingebüßt habe, fuhrwerke ich auf der Tastatur noch tollpatschiger herum als zuvor. Und auf jemanden mit dem Finger zeigen geht schon gar nicht mehr. Das sähe einfach lächerlich aus.
    Wahrscheinlich hat sie sich insgeheim für mich geschämt; jedenfalls wurde ich ständig von ihr bekniet: So leiste dir doch endlich einmal ein neues! Ich blieb hart. Wie gesagt, es war keine Frage der Kosten. Bis der Akku urplötzlich den Geist aufgab und ich keinen Ersatz dafür fand. Ihr Modell ist seit der Jahrtausendwende nicht mehr auf dem Markt, sagte der geschniegelte Verkäufer im Elektronikfachgeschäft und schenkte mir ein mitleidiges Lächeln. Mich wurmte sein Grinsen, irgendwie nahm ich es persönlich. Aber letztlich beugte ich mich der Kraft des Faktischen.
    Regina hat mich während all der Wochen nur drei Mal besuchen dürfen, nicht öfter, darauf habe ich bestanden. Irgendwer muss die Dinge in meiner Abwesenheit doch am Laufen halten, habe ich gesagt. Wobei wir natürlich beide wussten, dass das ein schwachbrüstiges Argument war. Sie schaukelt die Dinge, ob ich anwesend bin oder nicht, ich habe längst akzeptiert, dass sie im Studio die Hosen anhat. Meine Tätigkeit beschränkt sich auf die Aufnahme der Anamnese bei den neuen Kunden und auf die Pflege der Kontakte bei den alten. Auf Small Talk und aufmunternde Blicke. Vor allem bei der Buchhaltung wäre ich ohne sie aufgeschmissen, obwohl sie, die ehemalige Krankenschwester, sich das alles selbst beigebracht hat. Aber auch sonst hat in geschäftlichen Dingen eindeutig sie das Sagen,
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