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Jemand Anders

Jemand Anders

Titel: Jemand Anders
Autoren: Franz Kabelka
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ich streite es gar nicht ab. Da kann ich pro forma noch so lange dagegenreden. Am Ende setzt sie doch ihren Schädel durch. Regina, die Königin.
    Immerhin ist sie meine Königin.
    Natürlich ist sie nicht mit der Bahn auf Besuch gekommen, sondern in ihrem neuen Lieblingsspielzeug, dem roten Mégane Coupé-Cabriolet. In Anbetracht der Jahreszeit natürlich mit geschlossenem Verdeck. Obwohl: Bei ein bisschen Föhn hätte sie es selbst im Februar geöffnet. Wozu brauche ich ein Cabrio, wenn ich nicht den Himmel sehen kann? Das ist ihre Philosophie. Wie sie es schafft, trotz strammer Zugluft nie einen steifen Nacken zu bekommen, ist mir schleierhaft. Sie fährt selbst im Spätherbst, wenn andere sich schon beim Spazierengehen einen dicken Schal um den Hals werfen, oben ohne, in ihrer Diktion. Ich interessierte mich keinen Deut für schnittige Autos. Aber weil sie so darauf abfährt, habe ich ihr das Cabrio eben letzten Frühling gekauft, ein Geschenk zu ihrem Fünfundfünfziger. Alles neu macht der Mai, habe ich geträllert und ihr den Schlüssel in die Hand gedrückt. Sie war wirklich baff. Vielleicht gerade deshalb, weil sie meine Meinung zu Luxusgütern kennt, zu Glumpert aller Art. Und weil keiner besser weiß als sie, wie es um unsere Finanzen bestellt ist. Ein wahrer Liebesbeweis!, haben ihre Augen gestaunt. Ich habe es nicht für nötig befunden, sie diesbezüglich zu korrigieren.
    Liebe, mein Gott, Liebe …
    Ein großes Wort, ein allzu großes. Eines, das sich schon lange nicht mehr in meinem Wortschatz findet.
    Freilich, man verträgt sich, nach einem Dutzend Jahren haben wir einander noch immer gern. Das ist doch mehr, als man anfangs erwarten durfte, oder? Der Expater und die Exkrankenschwester, die sich nach einiger Zeit nicht nur die Arbeit, sondern auch das Bett teilen. Wenige Höhepunkte, dafür auch kaum Krisen. Zu hässlichen Streitereien kommt es so gut wie nie, und im Zweifelsfall bin eh ich es, der nachgibt. Wie gesagt.
    Ein bisschen bewundere ich es ja, wie sie alles zu regeln versteht. Die Regina ist einfach praktisch veranlagt – das sagt ein jeder über sie. Als ob das so einfach wäre! Ich würde mir gern eine Scheibe von ihrem OT abschneiden, OT wie Organisationstalent. Oder wie Operierender Thetan. Nicht, dass sie etwas mit diesen Scientologen am Hut hätte; aber wenn einer wissen will, was geistige Klarheit in der Praxis bedeutet, braucht er Regina nur beim Organisieren zusehen. Was immer sie anpackt, es gelingt ihr: ob Internetauftritt oder Firmenfeier, ob Umstrukturierung des Studios oder Neugestaltung unserer Dachterrasse. Kochen und Haushalt laufen bei ihr so nebenher. Sie ist es gewesen, die die neue Werbelinie zur Kundenakquirierung entworfen und durchgezogen hat; und sie war es, die, gegen meinen anhaltenden Widerstand, auf der Anschaffung der kostspieligen Kabelzugwand bestand. Der Erfolg, ich muss es eingestehen, gibt ihr zumeist recht. Sie hat einfach ein glückliches Händchen.
    Apropos. Da haben wir aber noch einmal Glück gehabt, Edgar! Das ist das Erste gewesen, was ich im Spital von ihr zu hören bekam. Es hat mehr wie ein Vorwurf geklungen als wie ein Trost. Vor allem das Wir ! Das nächste Mal überlegst’ es dir bitte dreimal, ob du mir so was antust, sollte das wohl heißen.
    Als ob ich den Unfall ausgeheckt hätte, um ihr etwas zufleiß zu tun! Ein paar Mal hat sie wiederholt, was für ein Riesenschwein wir gehabt haben, und ihre Augen sind ein bisserl feucht geworden. Dann hab ich einen Schmatz auf die Wange gekriegt, das weiß ich genau, obwohl ich zu dem Zeitpunkt noch ziemlich verwirrt gewesen bin, so vollgepumpt wie ich war mit Infusionen und Schmerzhämmern. Wir küssen einander ja selten, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Und mitten im Krankenzimmer abgeschmust zu werden, das ist doch so gut wie öffentlich, nicht wahr, auch wenn die Krankenschwester gleich die Tür hinter sich zumacht und der Bettnachbar friedlich schnarcht neben dir.
    Sie hat mich gelöchert mit Fragen. Ob ich mich noch an den Unfallhergang erinnern könne, wie lange genau mein Blackout zurückreiche und dergleichen. Testete mein Gedächtnis, als wäre sie die rechte Hand von Dr. Sellner. „Weißt du noch, was wir an dem Tag gemacht haben? Und an dem ?“
    Ich war direkt froh, als sie wieder ging.
    *
    Woher hätte ich wissen sollen, was sich abgespielt hat, droben im Wald? Wie es dazu kam, dass mein Kopf im Sturm von einem fliegenden Ast getroffen wurde und in der Folge auf einem
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