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Jemand Anders

Jemand Anders

Titel: Jemand Anders
Autoren: Franz Kabelka
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gewiss – aber was zum Henker geht mich das an?

Ostern 2009
    Ein Serientraum. Jedes Mal, wenn Bell danach erwacht, hat er das Gefühl, als hätte ihn jemand geimpft.
    Kann man dir einen Traum einimpfen? Immer den gleichen Traum, mit minimalen Abwandlungen?
    Natürlich hat er seiner Alten nichts davon erzählt. Wie er aus heiterem Himmel seine gesamten Ersparnisse abhebt und damit verschwindet, auf eine griechische oder spanische Insel, es spielt keine Rolle, Hauptsache weg, weit weg von ihr. Er, der sonst immer glatt Rasierte, trägt jetzt einen Rauschebart und langes, zu einem Pferdeschwanz gebundenes Haar, staubig seine Kutte, seine Sandalen. Hoch droben im Felsenkloster führt er ein beschauliches Leben, nur selten zieht es ihn hinunter zum Dorfplatz, um einen süßen Espresso zu schlürfen und den Hund zu streicheln, der an seinen Zehen leckt. Da sieht er sie , über den Platz tanzend, sie tanzt mit einem gertenschlanken, schwarz gelockten Griechen oder Spanier, was spielt es für eine Rolle, tanzt mit hüpfenden Brüsten und schwingenden Hüften, und er weiß, er muss diesen Kerl töten, es geht nicht an, dass einer mit seiner Frau tanzt, auch wenn er sie schon vor ewigen Zeiten verlassen hat; und er nimmt Anlauf, stößt den Kerl von hinten in eine Bodenspalte, die sich im selben Moment öffnet; und seine Frau glaubt, dass sie wieder verlassen wurde, sie sucht nicht einmal nach ihrem Liebhaber; und jetzt erst erkennt sie ihn, den Mönch, den stillen Einsiedler mit der staubigen Kutte, und sie findet ihn auf einmal sexy, verführerisch, und sie lieben sich, in seiner kargen Klosterzelle lieben sie sich auf der harten Pritsche, und er hasst sie dafür, dass sie ihn nur deshalb begehrenswert findet, weil er ihren Liebhaber umgebracht hat, und er erschlägt auch sie, und jetzt ist er endlich ganz ruhig und ganz bei sich.
    Mit zwei Bockbieren zu viel im Bauch kommt er nach Hause. Sie steht am Bügelbrett, der Fernseher läuft ohne Ton.
    „Wo warst du den ganzen Tag? Immerhin haben wir heute Ostersonntag!“
    Vorwürfe, blödsinnige Vorwürfe wie immer! Dabei weiß er, dass sie seine Antwort nicht einmal interessiert.
    „Ja eh“, sagt er. „Es hat halt ein Problem gegeben.“
    Sie drückt auf den Dampfknopf. Heiße Schwaden zischen über das Brett.
    „Ein Problem mit der Auferstehung“, fügt er hinzu.
    Jetzt wird sie doch ein bisschen neugierig, stellt das Bügeleisen ab. „Mit welcher Auferstehung?“
    Mit der Auferstehung des Fleisches, denkt er. Der Lust. Unserer Lust.
    „Vergiss es. Ich bin müde, ich leg mich hin.“
    „Ja“, sagt sie, „wird eh besser sein. So, wie du gelumpt hast die letzten Tage und Nächte.“
    Genau, denkt er, ein Lump bin ich in deinen Augen. Zu den Feiertagen frisst und säuft ja manch einer zu viel, aber ich, ich hab einen verdammt guten Grund dafür.
    Er knallt die Tür hinter sich zu. Schlafen, nur noch schlafen. Den Wecker stellt er ab. Morgen werde ich nicht aufstehen, verspricht er sich, vielleicht auch übermorgen nicht. Sie wird es nicht einmal bemerken, fährt ja in aller Herrgottsfrühe zu ihrem bescheuerten Seminar: Zen-Meditation, auf irgendeiner Berghütte! Zum vierten oder fünften Mal macht sie das jetzt, wie immer wird es eine Woche dauern. Danach fühlt sie sich wieder wie neugeboren. Energetisiert, sagt sie, eine Frischzellenkur für Körper und Geist.
    „Eigentlich passt das nicht zusammen“, hat er ihren Spruch kommentiert.
    „Was passt nicht zusammen?“
    „Alte Seele und Frischzellenkur.“
    „Natürlich passt das zusammen! Bloß weil du nicht daran glaubst, musst du dich nicht darüber lustig machen.“
    „Ich mache mich nicht darüber lustig. Ich mache mich überhaupt über nichts lustig. Ich stelle nur fest, dass du nicht in diesem Augenblick auf deine alte Seele stolz sein kannst, und im nächsten auf ihre Verjüngung.“
    „Du und deine Logik!“
    Wie sie dabei stöhnt und die Augen verdreht …
    Wenn sie so dreinschaut, weiß er, dass alles aus ist. Dass sie die Augen immer weiter verdrehen wird, immer weiter weg von ihm.
    *
    Ja eh.
    Er sagt es in einem fort. Hat es immer gesagt, solange sie zurückdenken kann. Ja und eh . Vier Buchstaben, zwei Worte, eine Gesinnung. Oder keine Gesinnung, je nachdem. Jedenfalls ein Rezept, nach dem es sich prima leben lässt, ohne großen Aufwand, ohne Höhen und ohne Tiefen. Das Lebensrezept von Otto, dem Manischen. Eine alte Ottomane, zu nichts gut, als dir den Platz zu verstellen. Im Weg sein, ja, das
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