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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein
Autoren: Hans Fallada
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stärker zu klopfen.
    Aus dem Zuschauerraum löste sich eine Gestalt, und als sie näher kam, erkannte Quangel den kleinen, hilfsberei-ten Arzt im hellgrauen Anzug.
    «Nun?» fragte der Arzt mit einem matten Lächeln.
    «Wie geht es uns?»
    «Immer ruhig!» sagte Quangel, während ihm die Hände auf dem Rücken gebunden wurden. «Im Augenblick habe ich ziemliches Herzklopfen, aber ich nehme an, das wird sich in den nächsten fünf Minuten geben.»
    Und er lächelte.
    «Warten Sie, ich gebe Ihnen was!» sagte der Arzt und griff in seine Tasche.
    «Machen Sie sich keine Mühe, Herr Doktor», antwortete Quangel. «Ich bin gut versorgt ...»
    Und für einen Augenblick zeigte die Zunge zwischen den dünnen Lippen die Glasampulle ...
    «Ja, dann!» meinte der Arzt und sah verwirrt aus.
    Sie drehten Quangel um. Jetzt sah er vor sich den langen Tisch, der mit einem glatten, stumpfen, schwarzen Überzug bedeckt war, wie Wachstuch.
    Er sah Riemen, Schnallen, aber vor allem sah er das Messer, das breite Messer. Es schien ihm sehr hoch über dem Tisch zu hängen, drohend hoch. Es blinkte grausilbern, es sah ihn tückisch an.
    Quangel seufzte leicht ...
    Plötzlich stand der Direktor neben ihm und sprach mit dem Scharfrichter einige Worte. Quangel sah unverwandt auf das Messer. Er hörte nur halb hin: «Ich übergebe Ihnen als dem Scharfrichter der Stadt Berlin diesen Otto Quangel, daß Sie ihn mit dem Fallbeil vom Leben zum Tode bringen, wie es angeordnet ist durch rechtskräftiges Urteil des
    Volksgerichtshofes ...»
    Die Stimme schallte unerträglich laut. Das Licht war zu hell Jetzt, dachte Quangel. Jetzt ...
    Aber er tat es nicht. Eine fürchterliche, peinigende Neugier kitzelte ihn ...
    Nur noch ein paar Minuten, dachte er. Ich muß noch wissen, wie es auf diesem Tisch ist ...
    «Nun mal los, alter Junge!» mahnte der Scharfrichter.
    «Mach jetzt keine langen Geschichten. In zwei Minuten hast du es ausgestanden. Hast du übrigens an die Haare gedacht?»
    «Liegen an der Tür», antwortete Quangel.
    Einen Augenblick später lag Quangel auf dem Tisch, er fühlte, wie sie seine Füße festschnallten. Ein stählerner Bügel senkte sich auf seinen Rücken und preßte seine Schultern fest gegen die Unterlage ...
    Es stank nach Kalk, nach feuchtem Sägemehl, es stank nach Desinfektionsmitteln ... Aber vor allem stank es, alles andere übertäubend, widerlich süß nach etwas, nach etwas
    Blut ... dachte Quangel. Es stinkt nach Blut ...
    Er hörte, wie der Scharfrichter leise flüsterte: «Jetzt!»
    Aber so leise er auch flüsterte, so leise konnte kein Mensch flüstern, Quangel hörte es doch, dieses «Jetzt!»
    Er hörte auch ein surrendes Geräusch ...
    Jetzt! dachte es auch in ihm, und seine Zähne wollten die Zyankaliampulle zerbeißen ...
    Da würgte es in ihm, ein Strom von Erbrochenem füllte seinen Mund, riß das Glasröhrchen mit ...
    O Gott, dachte er, ich habe zu lange gewartet ...
    Das Surren war ein Sausen geworden, das Sausen war ein gellendes Geschrei geworden, das bis in die Sterne, bis vor Gottes Thron zu hören sein mußte .
    Dann krachte das Beil durch sein Genick.
    Quangels Kopf fällt in den Korb.
    Einen Augenblick lag er ganz still, als sei dieser kopflose Körper verblüfft über den Streich, den man ihm da gespielt. Dann bäumte der Leib sich auf, er wand sich zwischen
    Riemen und Stahlbügeln, die Gehilfen des Scharfrichters warfen sich auf ihn und versuchten, ihn nieder-zudrücken.
    Die Venen in den Händen des Toten wurden dick und dicker, und dann fiel alles zusammen.
    Man hörte nur das Blut, das zischende, rauschende, dumpf niederfallende Blut.
    Drei Minuten nach dem Fall des Beils verkündete der bleiche Arzt mit etwas zitternder Stimme den Tod des Hingerichteten.
    Sie räumten den Kadaver fort. Otto Quangel war nicht mehr.

Anna Quangels Wiedersehen
    Die Monate kamen und die Monate gingen, die Jahreszeiten wechselten, und Frau Anna Quangel saß noch immer in ihrer Zelle und wartete auf das Wiedersehen mit Otto Quangel.
    Manchmal sagte die Aufseherin, deren Liebling Frau Anna jetzt war, zu ihr: «Ich glaube, Frau Quangel, die haben Sie ganz vergessen.»
    «Ja», antwortete die Gefangene Sechsundsiebzig freundlich. «Es scheint beinahe so. Mich und meinen Mann. Wie geht es Otto?»
    «Gut!» antwortete die Aufseherin rasch. «Er läßt auch grüßen.»
    Sie waren sich alle einig geworden, die gute, immer fleißige Frau den Tod des Mannes nicht erfahren zu lassen. Sie bestellten ihr regelmäßig
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