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Jeder Hund kann gehorchen lernen

Titel: Jeder Hund kann gehorchen lernen
Autoren: Dirk Lenzen
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hätte mich genauso gefreut, wenn er für seine Hinterlassenschaft mein Bett ausgewählt hätte. Meinem Hund geht’s besser – das ist das Einzige, was zählt.
    Insgesamt erlebe ich während Gysmos schwerer Krankheit rund drei Wochen lang eine Achterbahnfahrt der Gefühle, ein Rauf und Runter zwischen Hoffnung und Resignation. Langsam, aber sicher reift in mir die Erkenntnis, dass Gysmo nie wieder gesund wird. Dass es Zeit wird, sich auf einen Abschied vorzubereiten. Unser Tierarzt leidet mit und freut sich fast genauso wie ich über kleine Fortschritte.
    Ich werde die letzten Tage in Gysmos Leben nie vergessen: An einem Freitag geht es ihm wieder richtig schlecht. Er frisst nichts mehr und erbricht sich. Ich lasse ihn erneut vom Tierarzt untersuchen. Das Ergebnis: Momentan geht’s ihm zwar so »gut«, dass ein Einschläfern noch nicht infrage kommt. Aber wenn sich sein Zustand nicht bis Montagnachmittag verbessert, müssen wir es tun. Gysmo bekommt weitere Schmerzmittel. Gemeinsam quälen meine Lebensgefährtin und ich uns mit ihm übers Wochenende. Am Montagmorgen gehen wir mit Gysmo zum Tierarzt und lassen ein weiteres Blutbild machen. Dann die Nachricht: Gysmo droht akutes Nierenversagen, was einen grausamen Tod zur Folge hätte. Wir müssen handeln und entscheiden uns schweren Herzens, Gysmo noch am selben Tag einschläfern zu lassen. Eines war mir von Anfang an wichtig: Ich wollte, dass Gysmo – wenn es so weit ist – in unserer Wohnung erlöst wird. Ich rufe den Tierarzt an, kann die Tränen kaum noch zurückhalten, bin gar nicht mehr »sachlich«. Von Berufs wegen müsste ich eigentlich über solchen Dingen stehen. Doch das kann ich nicht. Obwohl ich im Rahmen von Hilfsprojekten für Straßenhunde in Rumänien und Moldawien schon so viel Leid gesehen habe, dass ich im professionellen Sinne »abgestumpft« hätte sein können, brechen die Tränen aus mir heraus. Wie ein Film zieht die gemeinsame Zeit mit Gysmo an mir vorbei. Während ich weine, steigt ein Gefühl in mir hoch, dass das alles jetzt einfach so sein muss. Als Gysmo vom Tierarzt zunächst eine Narkose und dann die tödliche Spritze erhält, liegt er in meinen Armen. Ich streichele ihn bis zum letzten Moment, versuche seinen Geruch aufzunehmen. Gysmo stirbt in meinen Armen. Gedankenblitze in meinem Kopf: Wann ist der Moment, in dem ich ihn loslasse und dem Tierarzt übergebe? Wie lange werde ich hier noch sitzen, mit dem toten Gysmo in den Armen? Der Tierarzt nimmt mir Gysmos Leichnam irgendwann ab und lagert ihn in der Kühltruhe seiner Praxis. Bis zur Einäscherung.
    Heute steht die Urne in seinem Körbchen, direkt neben meinem Bett. Ebenfalls im Körbchen: Eine Tüte mit dem (ungewaschenen) T-Shirt, das ich getragen habe, als Gysmo eingeschläfert worden ist. Dazu ein Foto und ein Löckchen, das ich ihm abgeschnitten habe. Die Einäscherungszeremonie war sehr würdevoll und hat mir geholfen, Abschied zu nehmen und loszulassen. Ich weiß noch nicht, wann meine Gefühle danach verlangen, die Tüte zu öffnen und an dem T-Shirt zu schnuppern. Bisher reicht mir die Möglichkeit, das tun zu können. Zwar höre ich Gysmo nicht mehr übers Laminat tapsen, aber auf eine unerklärliche Art und Weise spüre ich ihn – obwohl ich weder besonders religiös noch spirituell bin.
    Seit Gysmo nicht mehr bei uns ist, hat sich die Struktur im Familienrudel verändert. Gysmos Mutter Alice, mittlerweile fast 18 Jahre alt, wird nun öfter von ihrer Tochter alias Gysmos Schwester Houkey (14) angeknurrt. Gysmos Platz bleibt vorerst leer. Wenn Alice, die mittlerweile senil ist und ihre Stubenreinheit »vergessen« hat, mal nicht mehr ist, werde ich darüber nachdenken, einen neuen Hund aufzunehmen. Was für einen? Ich habe da noch keine Idee, aber ich bin mir sicher, dieser neue Hund und ich werden uns irgendwann »finden«. So wie auch Alice und mich der Zufall zusammengeführt hat. Jedenfalls gehöre ich nicht zu den Menschen, die sagen, sie würden sich nach dem Tod ihres Lieblings nie wieder einen Hund anschaffen. Ich finde, wer gut mit Hunden kann, sollte den frei gewordenen Platz früher oder später neu besetzen. Bis es so weit ist, schwelge ich in schönen Erinnerungen, wann immer ich Gysmo vermisse.
    Kunden, die ebenfalls von ihrem Hund A bschied nehmen müssen, sage ich immer: » Wichtig ist nicht, wie lange Ihr Hund gelebt hat, sondern dass er ein hündisches Er-Leben hatte.«

Nachwort
    Hunde machen uns jeden Tag Freude, weil sie im A ugenblick
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