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Jeden Tag, Jede Stunde

Jeden Tag, Jede Stunde

Titel: Jeden Tag, Jede Stunde
Autoren: Natasa Dragnic
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nicht von ihr ab.
    »Ich weiß nicht. Was für ein Hai wäre das? Du weißt doch, deine Mama ist ziemlich wählerisch, wenn es um ihre Rollen geht.« Sie zwinkert ihm zu.
    »Natürlich wäre das ein ganz besonderer Hai, der schönste und klügste und glücklichste Hai aller Zeiten. Und es wäre natürlich die Hauptrolle.« Nikola ist sehr zufrieden mit der neuen Rolle für seine Mutter. Er weiß, was sie mag. Er besucht seit Jahren schon ihre Premieren und langweilt sich nie, auch wenn er meistens nicht versteht, worum es geht, denn er liebt es, seiner Mutter auf der Bühne zuzuschauen, wie sie sich verändert. Eine andere wird und dennoch immer seine Mutter bleibt.
    »Da sind wir, schau! Opa erwartet dich schon!«
    Dora hält den Wagen an, und Nikola ist fast zeitgleich schon draußen und läuft seinem Opa entgegen. Ivan geht in die Hocke, und als Nikola sich auf ihn stürzt, fallen beide zu Boden und glucksen. Nikola lacht und schließt die Augen. Helena erscheint an der Tür, klatscht in die Hände und ruft nach ihrem Enkelsohn. Er springt von seinem Opa herunter und rennt zu seiner Großmutter. Umarmungen und Küsse ohne Ende. Als wären sie eine richtige französische Familie.
    »Man würde meinen, ihr habt euch eine Ewigkeit nicht gesehen!« Dora lacht und hilft ihrem Vater auf die Beine. Er ist nicht mehr der Jüngste. Daran will Dora aber nicht denken, sie versucht die kleinen oder auch großen Anzeichen des Alterns ihrer Eltern zu übersehen. Es stimmt sie sonst sehr traurig. Und Dora ist großartig im Verdrängen.
    »Hallo, Dora.« Ivan umarmt sie.
    »Hallo, tata.« Dora genießt ausgiebig die Umarmung. Geborgenheit ist das Wort.
    »Mami, wo ist eigentlich mein tata?«
    Nikola steht neben ihnen, hinter ihm Helena. Seine großen Augen sind voller Verwunderung. Alle sehen Dora an. Und Dora sieht Nikolas Vater vor sich und lächelt. Aber Nikolas Blick bekommt eine argwöhnische, dunkle Note, die man ab und zu an ihm sieht und die sich manchmal ausbreitet, auf seine Gedanken, seine Gefühle. Sogar seine Taten. Und doch ändert sich nichts.
     
    Luka hat Maja nach Hause gebracht, sie war müde. Jetzt macht er sich auf seinen täglichen Spaziergang und hofft, Katja und ihrem Freund nicht zu begegnen. Er grinst. Katja wäre wütend auf ihn. Sie will ihre große Liebe noch geheim halten, obwohl die ganze Stadt Bescheid weiß, denn Andrija ist ein Junge, der mit Katja in den Kindergarten gegangen ist und ihr bester Freund war, bis sie älter geworden sind und die Liebe zueinander entdeckt haben. Als Katja sechs Jahre alt war und man sie gefragt hat, was sie werden wolle, hat sie ohne zu zögern geantwortet: Ehefrau und Mama. Auch jetzt, mit sechzehn, ist Ehefrau und Mama zu werden immer noch der Höhepunkt ihrer Ambition. Luka stört es nicht. Wenn es sie glücklich macht! Zwischen Mutter und Tochter allerdings war es ein ständiger Streitpunkt. Doch jetzt, wo es klar ist, dass Andrija hier ist, um zu bleiben, ist Klara verstummt. Als hätte sie aufgegeben. Vielleicht fühlt sie sich an eine andere Geschichte erinnert, wenn sie die beiden sieht. Denn es gibt viele Leute, denen es so ergeht, auch wenn sie nur still und hinter vorgehaltener Hand darüber sprechen.
    Ana, die jetzt eine Frauenarztpraxis in Makarska eröffnet hat, schwärmt von dieser jungen Verliebtheit und denkt mit unstillbarer Sehnsucht an Toni, der nicht so viel Glück hatte wie Luka und bei Dubrovnik gefallen ist. Auch an Dora muss Ana denken, wenn sie ihre Nichte und deren Freund sieht. Und sie fragt sich, ob sie alle im Unrecht waren, damals, als sie Dora zum Wegziehen gedrängt haben. Ana weiß es nicht, sie weiß nur, dass Liebe heilig ist. Vor allem wenn man auf sie verzichten muss. Sie sieht auch, dass ihr Bruder nicht glücklich ist, er hat es nicht geschafft. So viele Leben vergeudet. Deswegen freut es sie, Katja so freudestrahlend zu sehen.
    Luka denkt über nichts nach, was mit der Vergangenheit zu tun hat. Er hat gelernt zu überleben, das muss ihm genügen. Er hat die Kinder, er hat sein Boot, sein Vater ist noch gesund, seine Schwester ist zurück. Daran, was er nicht hat, denkt er nicht. Er geht einfach mit seinem Stock spazieren. Das muss genügen.
    Am Leuchtturm trifft er Vinko und Lovre, Vinkos Sohn. Sie sind in ein Gespräch vertieft. Auch wenn Lovre erst fünf Jahre alt ist. Sie bemerken Luka nicht gleich, und Luka genießt das Bild. Vater und Sohn. Er hätte auch gerne einen Sohn. Aber vielleicht klappt es mit einem Enkelsohn!
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