Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jeans und große Klappe

Jeans und große Klappe

Titel: Jeans und große Klappe
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
Kapitalist. »Wenn du mal nicht über die Runden kommst, dann wende dich vertrauensvoll an mich«, versicherte er Sascha, der bei freier Station nur mit einem bescheidenen Entgelt und möglichen Trinkgeldern rechnen konnte.
    Im Grunde genommen paßte Rolf die ganze Sache überhaupt nicht. Ausgerechnet seine beiden Söhne, in die er so große Erwartungen gesetzt hatte, sollten nun auf der sozialen Stufenleiter abwärtsklettern, und dann auch noch in die tiefsten Tiefen: Der eine als Hilfsarbeiter im Gartenbau, der andere als Page und damit Trinkgeldempfänger.
    »Durchhalten werden sie sowieso nicht«, beruhigte er mich (und sich), als ich Saschas Koffer packte, »ich bin nur neugierig, wer von beiden zuerst das Handtuch wirft!«
    Am nächsten Tag lud er Sohn und Gepäck ins Auto, um beides in Bad Harzburg abzuliefern und Sascha bei dieser Gelegenheit die Stätten seiner Kindheit zu zeigen. Man besuchte ehemalige Schulkameraden, die den inzwischen erworbenen Wohlstand in Form von Häusern und Bäuchen vorzeigten und sichtlich bestrebt waren, beides zu konsolidieren; man tauschte Erinnerungen und Familienfotos, und man verschmähte auch nicht die geistigen Genüsse, so daß Sascha seine verantwortungsvolle Tätigkeit erst mit 24stündiger Verspätung antreten konnte, weil er am anderen Morgen einen ausgewachsenen Kater spazierenführte.
    Den nun folgenden Zeitabschnitt bekamen wir nur telefonisch, seltener auch brieflich mit. Demnach gefiel es dem Pagen ganz gut, wenn er auch nicht unbedingt sein Lebensziel darin sah, dicke Möpse von dicken Damen spazierenzuführen. »Aber man lernt eine ganze Menge Leute kennen«, erzählte er mir einmal, »heute habe ich mit Inge Meysel gesprochen.«
    »Worüber habt ihr euch denn unterhalten?«
    »Ach, sie hat mich gefragt, wo die Toiletten sind.«
    Wenn wieder einmal Post von Sascha gekommen war, winkte Rolf meistens ab. »Du brauchst mir jetzt nicht den ganzen Brief vorzulesen, nur den Absatz, der mit ›Übrigens, Papi‹ anfängt.«
    Wenn Geld auch sicherlich nicht alles bedeutet, so hält es die Verbindung mit den Kindern aufrecht.
    Offenbar beschränkte sich Saschas Tätigkeit keineswegs auf ein dekoratives Herumstehen, er wurde vielmehr überall dort eingesetzt, wo Not am Mann herrschte. So hängte er abwechselnd Nerze und Breitschwänze auf Garderobenbügel, flickte Leihfahrräder, drehte in der hauseigenen Konditorei Marzipankugeln und schippte Schnee. Letzteres sehr häufig und dank seines Heidenberger Trainings mit einer gewissen Routine. Und er dachte gar nicht an Kapitulation.
    Sven auch nicht. Ihn sahen wir häufiger, weil er jedes zweite Wochenende nach Hause kam, beladen mit Süßigkeiten für seine Schwestern, die ihn wohl als eine Art verfrühten Weihnachtsmann betrachteten und bei künftigen Freizeitplanen als potentiellen Geldgeber einkalkulierten. »Gehst du mit uns heute ins Kino? Es gibt das ›Dschungelbuch‹.«
    Manchmal brachte er mir auch etwas mit. So kam er einmal mitten im Winter mit einem riesigen Blumenstrauß an, wehrte Danksagungen aber entschieden ab: »Nun fall nicht gleich aus allen Wolken! Jemand hat ihn im Zug liegengelassen!«
    Erfreulicherweise sah der Bengel prächtig aus, braungebrannt, gesund und durchtrainiert.
    »Mußt du nicht ziemlich schwer arbeiten?« fragte ich ihn besorgt.
    »Ach nein, nicht gerade schwer, nur so schrecklich regelmäßig!«
    Dann versetzte er seinem Vater einen Tiefschlag: »Ich habe mich schon erkundigt, ob ich in meinem Laden die Lehre abreißen kann. Das geht in Ordnung. Ab Februar bin ich Azubi.«
    »Was bist du?«
    »Auszubildender! Das klingt zwar reichlich geschwollen, ist aber nur die moderne Umschreibung für Lehrling.«
    »Wieso Lehrling?« fragte Rolf verdutzt.
    »Na ja, irgendwann muß ich ja mal anfangen. Ich mache jetzt eine dreijährige Gärtnerlehre mit Berufsschule und allem Drumherum, nach der Prüfung muß ich mich für die Fachschulreife qualifizieren, und später baue ich meinen Ingenieur. Wahrscheinlich werde ich ganz schön büffeln müssen, aber das macht mir nichts aus. Die Unterscheidungsmerkmale zwischen einem Abies alba und einem Abies concolor sind leichter zu behalten als die Unterschiede zwischen Neutronen und Protonen. Ich weiß nicht mal mehr, was das überhaupt ist.«
    Rolf schüttelte resigniert seinen graumelierten Kopf: »Und ich hatte gehofft …«
    »Ich weiß, was du gehofft hast«, unterbrach ihn sein Sprößling ungerührt, »du hast geglaubt, daß ich die Flinte ins Korn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher