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Je länger, je lieber - Roman

Je länger, je lieber - Roman

Titel: Je länger, je lieber - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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sehr Wertvolles entrissen worden, von dem er gestern noch nicht einmal geahnt hatte, dass er es besessen hatte. Etwas war mit ihnen beiden geschehen, als er Clara in Casados Atelier das Jelängerjelieberpflänzlein übergeben hatte. Etwas Magisches, für das er noch keine Worte fand. Aber allein die Vorstellung, dass sie jetzt gerade auf dem Schiff nach Hause an ihn denken könnte, machte ihn schwindlig. Sein Vater lachte hinter ihm. »Träumst du mit offenen Augen?«
    Er hatte sich auf die Holzbank vor dem Haus gesetzt und klopfte neben sich auf die Sitzfläche. »Komm her. Sag mir, wovon du träumst.«
    Jacques erzählte ihm von Clara, dem Mädchen im Matrosenanzug, das nach Deutschland zurückgekehrt war. Er erzählte von den feinen Dingen, Menschen und Landschaften, die sie mit dem Bleistift aufs Papier zauberte, die meist nur sie sehen konnte. Von ihrer geduldigen Art, ihm ihre Sprache beizubringen. Von ihrem Lachen. Von dem eigentümlichen Zauber, der sie umgab. Er zog ein kleines Kirschholzkästchen aus seiner Hosentasche, klappte es auf und hielt es seinem Vater hin. »Diesen kleinen goldenen Kompass hat sie mir ge schenkt. Damit ich eines Tages den Weg zu ihr finde.«
    »Du bist verliebt, mein Sohn.« Aurelio legte ihm die gebräunte Hand auf die Schulter. »Das ist gut in deinem Alter.«
    Doch Jacques schüttelte den Kopf. »Nein, Papá. Es ist mehr als das. Ich bin sie, und sie ist ich.«
    Bevor sein Vater darauf etwas erwidern konnte, bemerkten sie eine hellbraune Staubwolke, die sich die hügelige Straße zum Haus hinunterschob. Jacques und Aurelio erhoben sich. Die Pferdekutsche kam direkt auf sie zugeprescht. Auf dem Kutschbock saß Emilio Casado im flatternden weißen Hemd, ohne seinen Hut.
    Jacques ging auf das Gespann zu und nahm die Zügel des schnaufenden Pferdes entgegen, in dessen feuchtschwarzem Fell die Schweißperlen glitzerten. Casado sah ernst aus, als er in den Sand heruntersprang und seine knappe Bitte knurrte. »Gib ihm etwas zu trinken.«
    Jacques führte das Pferd zur Tränke neben dem Haus und sah aus den Augenwinkeln, wie die beiden Männer beieinanderstanden. Casado gestikulierte wild, während sein Vater versuchte, den kräftigen Mann zu beruhigen. Jacques hörte unzusammenhängende Worte. Und immer wieder den Namen von Emilio Casados Tochter. »Daria!« Er schrie ihn fast.
    Aus der Mitte des Fischerorts schwoll das Glockenläuten der Santa-Maria-Kirche an. Wie eine gewaltige Welle ergoss es sich über die Weinberge. Als wollte es Casados Worte in Schall ertränken. Nichts war mehr zu hören außer ohrenbetäubendem Läuten. Plötzlich legte sich eine Hand auf Jacques’ Schulter. Jemand schmiegte sich sanft an seinen Rücken. Seine Mutter Mirabella war aus dem Haus gekommen.
    »Was ist da los?«, fragte sie mit ihrer sanften Stimme in sein Ohr, während das Läuten der Glocken langsam verebbte.
    Jacques drehte sich kurz zu seiner Mutter um, die sich ihr dunkles Haar in einem geflochtenen Zopf um den Kopf gelegt hatte. In ihrer kurzärmeligen Bluse und dem langen Rock sah sie trotz ihrer vierzig Jahre noch immer wie ein junges Mädchen aus. »Ich weiß es nicht«, murmelte er.
    Inzwischen schien sich Casado ein wenig beruhigt zu haben. Er nickte und lauschte auf das, was Aurelio zu ihm sagte, der ihm beide Hände auf die Schultern gelegt hatte. Dabei blickte er zu Boden, als schaffte er es nicht, Jacques’ Vater in die Augen zu sehen. Schließlich umarmten sich die beiden Männer und hielten sich für einen Moment fest. Irgendetwas Furchtbares musste passiert sein.
    Als Casado seinen Pferdekarren bestieg und von Jacques die Zügel gereicht bekam, warf er ihm einen bohrenden Blick zu, als hätte er ein schweres Urteil gefällt, das über Jacques’ weiteres Schicksal bestimmte. Mit einem knappen »Ho!« wendete er und verschwand vom Hof. Aurelio blieb an der Einfahrt lange bewegungslos stehen, die Hand zum Gruß erhoben, die er nun langsam sinken ließ. Es war still. Unglaublich still. Als hätten die Grillen mit einem Schlag das Zirpen aufgegeben. Nach und nach sank der von Casados Pferdegespann aufgewirbelte Staub auf den Boden zurück. Die Sonne verschwand hinter den Hügeln, und es wurde kalt auf dem Hof.
    »Du wirst Daria heiraten, mein Sohn«, bemerkte Aurelio ruhig, als er zum Haus zurückkam. »Emilio Casado ist in großen Schwierigkeiten, und nun sind wir an der Reihe, ihm zu helfen.«
    Jacques öffnete den Mund. Doch mehr als ein »Aber …« kam nicht heraus. Der Blick
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