Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze
Autoren: Werner Schrader
Vom Netzwerk:
daß es kein Vorwurf sein soll, du hattest dich bei meiner Rettung übernommen und bliebst liegen wie ein Stein, schwer und unbeweglich. Ich rüttelte dich, rollte dich hin und her, stieß dich mit dem Fuß: alles vergebens! Was nützte es, daß ich vor Wut und Verzweiflung heulte - du warst tot! So gut wie tot! Schon machten die Geier einen Aufklärungsflug, um sich über den Stand der Dinge zu informieren, und einer landete einen Meter neben deinem linken Bein. Da durchströmte mich die Kraft der letzten Stunde. Ich packte dich, setzte dich auf meine Schulter und schleppte dich so fort wie ein geduldiges Kamel seinen Reiter.“
    „Das werde ich dir nie vergessen, Jan“, rief Jochen dazwischen, „nie, solange ich lebe, und wenn ich so alt werden sollte wie Methusalem. Was du tatest, überstieg bei weitem das Maß des Menschenmöglichen, bei weitem, sage ich! So war es natürlich kein Wunder, daß du nach wenigen Schritten straucheltest und mich fallenließest. Dabei, du wirst dich erinnern, schlug ich mit dem Kopf an einen Stein und verlor die Besinnung.“
    „Ich erinnere mich genau“, sagte Jan. „Der Stein, gegen den du schlugst, war mein Kopf. Und darum wurde auch ich bewußtlos. So lagen wir denn beide getreulich nebeneinander in der Wasserlache unseres Schweißes, und der Tod war nur noch eine Frage von Minuten.“
    „Von Sekunden, lieber Jan, von wenigen Sekunden! Hast du denn vergessen, daß zwei Geier schon damit begannen, mir die Hosenbeine aufzukrempeln, und daß sich der größte dieser widerlichen Totenvögel, der mit dem einen schwarzen und dem einen grauen Flügel, schon lebhaft für meine linke Hand interessierte, hier, wo der kleine Finger fehlt?“ Jochen schwenkte seine Hand vierfingrig durch die Luft.
    Jan nickte grimmig.
    „Ja, es war aus“, sagte er. „Wir waren ein Opfer unserer Neugier, unseres Wissensdurstes geworden. Jetzt mußten wir in der glühenden Sonne Indiens den Geiern zum Fräße dienen, so jung noch und so voll Hoffnung.“ Ersah seine Zuhörer so gequält an, daß die glaubten, er würde jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. Plötzlich jedoch belebte sich sein Auge wieder, bekam Glanz und Feuer, und freudig fuhr er fort: „Aber das Wunder, das wir mit unserem verlöschenden Geist ersehnten, geschah: eine schwarze Wolke fegte heran, schwoll, dehnte sich aus, bis sie die Horizonte streifte, und öffnete sich. Tausend Liter Wasser stürzten auf uns herab, tränkten uns und gaben uns das Leben wieder. Wir erwachten, schlugen die Augen auf, verscheuchten die Geier und freuten uns über die schweren Tropfen, die auf unseren Körper klatschten.“
    „Ihr könnt euch nicht vorstellen“, war nun Jochen wieder an der Reihe, „wie uns zumute war! Wir sprangen auf, fielen uns um den Hals und öffneten immer wieder den Mund, um den kühlen Regen zu trinken. Ach, was ist Trinkenkönnen für eine Gnade! Hast du noch was in der Flasche, Jan?“
    Jan hatte, und sie tranken.
    „Aber plötzlich“, spann Jochen den Faden weiter, „plötzlich stellten wir fest, daß wir in einem Fluß standen, mitten in einem dieser Regenflüsse, die in der Trockenzeit kein Wasser führen, in der Regenzeit indessen kilometerbreit und reißend werden. Schon reichte uns das Wasser bis an die Brust, und der Regen hatte doch erst kaum mehr als seinen Einzugsmarsch getrommelt. Los, Jan, wir müssen schwimmen! schrie ich meinem Freund zu. Da drüben ist das Ufer.“
    Jan Tabak schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß die Gläser tanzten.
    „Und wir schwammen!“ brüllte er. „Aber das Ufer war nicht da! Es gab überhaupt kein Ufer! Mag sein, daß wir immerfort im Kreise schwammen, weil wir in dem fürchterlichen Guß keine fünf Meter weit sehen konnten - jedenfalls kamen wir nie an Land.“
    „Wolltet ihr nicht von einem Elefantenrennen erzählen?“ fragte Nicole an dieser Stelle vorsichtig an.
    „Wir sind ja dabei“, erklärte Jochen eifrig, „sozusagen schon mittendrin im Rennen. Was meint ihr denn, wer uns vor dem Ertrinken in dem reißenden Fluß gerettet hat, he? Niemand anders als die Elefanten des Maharadjas, den wir besuchen wollten! Nicht, daß sie uns im Wasser hätten treiben sehen und zu Hilfe gekommen wären, nein, das nicht: die Dickhäuter fochten einen Wettkampf aus, ein Hindernisrennen, bei dem sie springen, laufen und schwimmen mußten. Eines dieser Hindernisse war der Regenfluß, der uns in die Tiefe reißen wollte. Den mußten sie in größter Eile durchschwimmen, am
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher