Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jan Fabel 05 - Walküre

Titel: Jan Fabel 05 - Walküre
Autoren: Craig Russell
Vom Netzwerk:
rechtschaffenem Eifer als Arbeiterstadt wiederaufge­baut. Hässliche Plattenbauten engten die Kathedrale ein, und alles Alte und Traditionelle wurde durch Modernes und Zweck­mäßiges ersetzt. Und dann war die Mauer niedergerissen wor­den, und die Bewohner von Halberstadt hatten es neu für sich erschlossen.
    Es war eine Stadt ohne Vororte, die in sich abgeschlossen auf einer Grasebene vor den sich erhebenden Bergen des Harzes lag. Während Sylvie darauf zufuhr, hatte sie den Eindruck einer märchenhaften Bilderbuchstadt, deren rote Dächer und Fach­werkhäuser sich, ebenso wie die Türme der Kathedrale und der Martinikirche, anmutig und perfekt in die Landschaft einfüg­ten. Doch erst als der Wagen durch den Ort rollte, erkannte sie die wirklichen Veränderungen seit ihrem letzten Besuch. Die monolithischen Plattenbauten waren zumeist verschwunden. Man hatte die mittelalterliche Altstadt historisch getreu wie­derhergestellt und den Platz vor der Kathedrale erweitert, so­dass sich die Majestät des Gebäudes entfalten und erneut be­wundert werden konnte. Es war, als hätte die kleine Stadt ihre Seele zurückbekommen.
    Das Hotel war eine umgebaute Villa aus dem achtzehnten Jahrhundert. Sylvies Zimmer hatte eine hohe Decke, war holz­getäfelt und mit alten Möbeln ausgestattet. Es beunruhigte sie, sich in barockem Luxus in einer Umgebung aufzuhalten, die sie nur als Teil der längst vergessenen kommunistischen Vergan­genheit kannte.
    Sie rief per Handy die Nummer an, die ihr genannt worden war.
    »Frau Achtenhagen?«
    »Ja.«
    »Treffen wir uns in fünfzehn Minuten im Domschatz. Ich werde Sie finden.«
     
    Helmut Kittel war ein Wrack. Die Schultern des großen Man­nes hatten sich vorgewölbt, und sein Brustkasten wirkte einge­fallen. Seine Haut war gelblich grau und sein Haar spärlich und stumpf. Er war Sylvie aus dem Domschatz gefolgt und hatte sich neben sie auf die Bank im Garten der Kathedrale gesetzt.
    »Ich habe Ihre Mitteilung bekommen«, sagte Sylvie.
    »Damit hatte ich gerechnet.« Er lächelte.
    »Haben Sie die Nachrichten gesehen? Über Gina Bronstedt?«
    »Jawohl.« Seine Atmung war verschleimt und rasselnd.
    »Ihnen ist bestimmt klar, dass es das Werk der dritten soge­nannten Walküre gewesen sein muss - derjenigen, deren Na­men Sie angeblich kennen. Ich gebe zu, dass diese Information nun sehr wertvoll ist. Haben Sie einen Beweis für die Identität der dritten Walküre?«
    Er brach in einen tief sitzenden, krampfartigen Husten aus, der seinen Körper durchschüttelte und ihm Tränen in die Augen trieb. Als sich der Hustenanfall gelegt hatte, lehnte er sich auf der Bank zurück und atmete schwer, als wäre er in einer sauerstoffarmen Höhenregion.
    »Krebs?«, fragte sie ohne Bosheit.
    Er schüttelte den Kopf. »Emphysem. Zu viele Zigaretten. Die Kälte scheint es zu verschlimmern.«
    »Tja, Ihre Information ist nachrichtenreif. Sehr sogar. Und je interessanter sie für eine Nachrichtensendung ist, desto mehr zahlen wir dafür.«
    Er lächelte bitter. »Und Sie erschaffen die Nachrichten, stimmt's?«
    »Haben Sie die Akte oder nicht?« Sylvie konnte die Unge­duld in ihrer Stimme nicht mehr verbergen.
    »Am Anfang waren es zwölf Mädchen«, erklärte er. »Sie wurden auf drei eingegrenzt. Aber dann, im Endstadium der Ausbildung, musste eine der letzten drei ausgemustert werden. Liane Kayser. Ihre Ausbilder begriffen, dass man sich nicht auf sie verlassen konnte. Angeblich hatte sie soziopathische Nei­gungen. Es war ihr nicht anzumerken, wenn man sie vor sich hatte oder ihr zuhörte, aber sie schien unfähig zu sein, anderen Interessen als ihren eigenen zu dienen. Sie war bereit, alles zu tun, jeden zu töten, um ihre persönlichen Ziele zu erreichen.« Er lächelte wieder. »Nein, Frau Achtenhagen, ich habe die Akte nicht. Außer den Fotos, die ich Ihnen geschickt habe, gibt es kein Material. Ich bin der Einzige, der weiß, wer Liane Kay­ser ist.«
    »Aha.« Sie musterte ihn, um seine Absicht zu ergründen.
    »Ich habe einmal eine Sendung gesehen, in der Sie inter­viewt wurden«, fuhr er kurzatmig fort. »Sie sprachen über die Arbeit heutiger Fernsehjournalisten. Darüber, dass es nicht mehr genügt, passiv zu sein und darauf zu warten, dass einem ein Ereignis oder eine Story in den Schoß fällt. Sie sagten, dass Journalisten Nachrichten im Wortsinne produzieren mussten. Durch den Fall des Engels von St. Pauli haben Sie sich wirklich einen Namen gemacht, nicht wahr? Niemand hatte das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher