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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler
Autoren: Craig Russell
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Fabel die Frische des Dekors. Es war, als wäre der kurze Flur unlängst gestrichen worden. Die Farbe erinnerte an helle Butter: freundlich, doch fade, neutral, anonym. Vom Flur gingen drei Türen ab. Unmittelbar links neben Fabel lag das Badezimmer. Ein rascher Blick zeigte, dass es kompakt und, wie der Flur, sauber und frisch war. Es wirkte fast unbenutzt. Auf den wenigen Ablagen und Regalen sah man kaum eine der Kleinigkeiten, die Badezimmern gewöhnlich eine persönliche Note verleihen. Die zweite Tür stand weit offen und führte in den zentralen Raum: ein Schlafzimmer mit Wohnfläche. Es war ebenfalls klein und wirkte durch die Ansammlung von Polizisten und Kriminaltechnikern, die sich bei ihrer Arbeit manchmal wie in einem unbeholfenen Ballett mit erhobenen Armen aneinander vorbeidrängten, noch enger. Fabel bemerkte, dass alle Gesichter einen Ernst erkennen ließen, den man in einer solchen Situation erwarten würde, der in Wirklichkeit jedoch selten ist. Normalerweise hätte ein gewisser Galgenhumor geherrscht, der denen, die sich mit dem Tod befassen müssen, hilft, von ihm unberührt zu bleiben. Aber dies war etwas anderes. Hier hatte der Tod in ganz besonderer Weise nach ihnen gegriffen und ihre Herzen mit knöchernen Fingern gepackt. Als Fabel zum Bett hinüberblickte, wurde ihm der Grund klar. Hinter ihm flüsterte Werner: »Verdammt!«
    Eine Explosion von Rot. Scharlachrote Strahlen waren auf das Bett, den Teppich und die Wand hinauf gespritzt. Das Bett selbst war von dunklem, klebrigem Blut durchtränkt, und sogar die Luft schien von seinem Kupfergeruch gesättigt zu sein. Mitten in dem Chaos sah Fabel den Körper einer Frau. Ihr Alter ließ sich schwer schätzen, aber wahrscheinlich war sie fünfundzwanzig bis dreißig Jahre alt gewesen. Sie lag mit ausgestreckten Gliedern auf dem Bett. Ihre Handgelenke und Knöchel waren an die Bettpfosten gebunden, und der aufgeschnittene Bauch wirkte grotesk entstellt. Jemand hatte ihr gleichzeitig den Brustkorb aufgeschlitzt und die Rippen nach außen gezerrt, bis sie einem Schiffsaufbau glichen. Das Weiß der zertrennten Rippen schimmerte durch das aufgerissene rohe Fleisch hindurch und hob sich von den dunkel glänzenden Eingeweiden ab. Zwei blutige Gewebeklumpen - ihre Lungenflügel -, gesprenkelt mit schaumigen, hellen Blutstropfen, waren seitwärts über ihre Schultern geworfen worden.
    Es war, als hätte man ihr Inneres gesprengt.
    Fabels Herz pochte so wild, dass er das Gefühl hatte, sein Brustkasten werde ebenfalls platzen. Er wusste, dass sein Gesicht bleich geworden war, und als Werner sich an dem Polizeifotografen vorbeizwängte, merkte Fabel, dass sich die gleiche Blässe über die Züge seines Mitarbeiters gelegt hatte.
    »Das ist er wieder. Schlimm, Chef, wirklich schlimm. Ein wüsterer Psychopath könnte hier gar nicht rumlaufen.«
    Einen Moment lang konnte Fabel den Blick nicht von der Leiche abwenden. Dann holte er Atem und wandte sich Paul zu. »Zeugen?«
    »Keine. Frag mich nicht, wie ein solches Gemetzel angerichtet werden kann, ohne dass es jemand hört, aber genauso ist sie gefunden worden. Wir haben nur den Mann, der sie entdeckt hat. Niemand hat etwas gesehen oder gehört.«
    »Deutet etwas auf ein gewaltsames Eindringen hin?«
    Paul schüttelte den Kopf. »Der Mann, der sie gefunden hat, sagt, die Tür sei angelehnt gewesen. Aber sonst ... Kein Zeichen für ein gewaltsames Eindringen.«
    Fabel trat auf die Leiche zu. Es kam ihm besonders grausam vor, dass ein derart gewalttätiges und entsetzliches Lebensende unbemerkt geblieben war. Ihr Schrecken war einsam gewesen. Ihr Tod - den er sich nicht vorstellen konnte, wie anschaulich er ihm auch geschildert wurde - hatte sich in einem elenden, einsamen Universum vollzogen, das nur von der erbarmungslosen Gewalt ihres Mordes erfüllt war. Er richtete den Blick von der Zerstörung ihres Körpers auf ihr Gesicht. Es war ebenfalls mit Blut bespritzt. Der Mund stand ein wenig offen, die Augen waren aufgerissen. Sie zeigten kein Entsetzen; weder Furcht noch Hass, aber auch kein Gefühl des Friedens. Es war eine ausdruckslose Maske, die nichts über die einst hinter ihr versteckte Persönlichkeit verriet.
    Der Gerichtsmediziner Dr. Möller, maskiert und mit seiner weißen Spurensicherungsmontur angetan, untersuchte den weit klaffenden Bauch. Er bedeutete Fabel durch eine ungeduldige Geste, ihn nicht zu stören. Fabel löste seine Aufmerksamkeit von der Leiche. Sie war nicht bloß ein physischer
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