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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Autoren: Uwe Johsohn
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Graybar-Building, strömen dicht, ohne Gedränge uns entgegen unter das Tonnengewölbe, in dessen Höhe der Sternenhimmel golden abgebildet ist wie eingeritzt. Wir gehen in der falschen Richtung unter dem hohen Zelt.
    Um die Ecke warten die Flughafenbusse, elefantische Brummer. Die getönten Fenster ziehen einen Schatten vor die Stadt. Die Fahrt wird über die Strecke zwischen den Friedhöfen gehen, zu einem Gelände, wo Gebüsch und Rasen einen Park zu machen suchen aus dem technischen Areal. Wir werden warten bis zuletzt; auf die Ansage in den Lautsprechern, die uns zurückruft nach New York. Bis sie sagen werden, dies sei der letzte, der endgültige Aufruf zum Betreten der Flugmaschine. Passagererne bedes begive sig til udgang. Please proceed to the gate now. Begeben Sie sich zum Ausgang.
    20. August, 1968 Last and Final
    In einem Badehotel an der dänischen Küste, Schweden gegenüber. In einem Speisezimmer für Familienbegebnisse; Rohrmöbel, Damasttischtuch. Im Garten, hinter dem Gebüsch zur Promenade. Am Strand. Von zwölf bis sechzehn Uhr.
    Ein elfjähriges Kind, das vor Müdigkeit leise spricht, matt. Eine Dame um die Fünfunddreißig, die hinter Marie die Treppe hinuntersteigt, vorfreudig, weil zum Empfang gerufen. Anita hat sich für Prag versprochen; Anita ist imstande, schon in Klampenborg uns zu empfangen.
    Portier, Chauffeur, Kellnerin; Hotelpersonal.
    – Wir danken für das pünktliche Wecken. De har vist mig en stor teneste.
    – Ingen årsag! Ein Herr wünscht Sie zu sehen, sobald Sie es einrichten wollen.
    Der Herr steht auf der Terrasse, geschrumpft, eigenwillig aufrecht, schwarzweiß gekleidet, unter schlohweißen Haaren, mit erhobenen Armen kostet er den Empfang aus, ein Rabe, der seine Bewegung verbergen will.
    – Nein! Nein! So tun alte Leute aus Mecklenburg.
    – Herr Kliefoth. Marie, begrüße meinen Lehrer für Englisch und Anstand.
    – I am very pleased to meet you, Dr. Kliefoth. My mother told me some of your stories.
    – Es erschiene mir geschickt, wenn wir außerhalb des Deutschen blieben. Dies Land ist einmal deutsch besetzt gewesen.
    – D’accord, mine leewe Fru Cresspahl. Wo ich ohnehin illegal bin. Ihre Freundin Anita, die setzt einen Menschen von zweiundachtzig Jahren auf den Zug nach Lübeck; nach Lübeck schickt sie ihm einen Ausweis, damit er nach Kopenhagen reist, und die Polizei von Jerichow weiß nüms nich. Aber der Name im Paß ist Kliefoth, es ist mein Bild; den könnt ich behalten so wie er ist.
    Von vorn gesehen ist Kliefoths Kopf schmal, im Profil erscheint vergessene Tiefe. Am Tisch stützt er den Kopf an der Schläfe in die Hand; die Brille rutscht mit dem oberen Rand über die Brauen. Jetzt sitzen die dunklen Pupillen genau in der Mitte.
    – Daß Sie sich die Mühe machen, Fru Cresspahl. Umsteigen in Kopenhagen, einem unnützen Menschen zuliebe.
    – Wir verdanken es Anita. Der mißfiel es, daß wir in Frankfurt umstiegen. Anita sind wir gehorsam.
    – Sie hat mich hier eingemietet für zehn Tage, wenn es mir recht ist.
    – N goden Minschen is se; dat seggt wi sülbn.
    – Ach wo. Manch ein Mal, da fehlen wohl bloß Zwiebeln. Was früher Südfrüchte hieß, desgleichen. Nur, wenn man in einer Zeitschrift aus dem Jahre 1928 trifft auf die Anzeige einer Fischräucherei, da ist von Tausenden Tonnen geräucherten Aals die Rede; wunnert ein’ sick. Givt kein rökerten Aal in Jerichow orre Gneez. Nein, zur Gesellschaft freue ich mich auf das Essen; wir können uns jo wat vetelln bi her.
    – Hvad ønsker herskabet?
    – Saure Heringe. Makrelen in Tomatensauce. Geräucherten Aal mit Rührei; lachen Sie man! Und welchen Wein … hvilken vin vil De anbefale os til det?
    – Für uns ist es jetzt halb sieben am Morgen, Herr Kliefoth. In unserer Schule wird man bewertet mit Plätzen. In meiner Klasse bin ich auf Platz 4. Wie war meine Mutter als Schulkind?
    – Es ist mehr daher, daß ich von den Überlebenden der Älteste bin. Müßt auf den Friedhof gehen, wollt ich mit jemandem reden.
    In der Erschöpfung hält er die Augen geschlossen. Unter die Brillenbügel greifend massiert er mit Daumen und Zeigefinger einer Hand die Schläfen. Die Augenhaut ist grau, vielfach gefältelt, ohne Regung. Sitzt da wie ein Toter; bis er sich weckt mit den kletternden Fingern.
    – Was ist gesprochen worden an meines Vaters Grab, Herr Kliefoth?
    – Unfug. Hab ich mich quer gelegt. Hev ick ein P voerschræwn. Und wenn Ihnen nun der Wein mißfallen hätte?
    – Wär er
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