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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Autoren: Uwe Johnson
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sondern namentlich aufgefordert, und sogar Mine Köpcke hatte für ihres Mannes Baugeschäft antreten müssen. Und sollten sie etwa den von den Briten abgewrackten Lübecker Hof aufräumen, damit Jerichow sein Hotel zurückbekam? einen Zaun sollten sie bauen. Einen Zaun, der von der Ortskommandantur strikt nach Westen ging, über die Hintergärten der Bäk hinaus, dann geradeaus nach Norden bis zur Feldstraße, östlich bis an die Hofgrenzen der Häuser an der Stadtstraße, und zurück bis an das schon besetzte Stück! Mine Köpcke hatte für ihren Mann gerechnet und Reparaturen überwacht, seit er mit einer Fliegerabwehrkanone im Litauischen verschwunden war; nun wollte sie ihm gern etwas beweisen mit einem Bau, den sie selber aufgeführt hatte, und die Köpckesche bekam die Aufsicht. Cresspahl bewies noch einmal seine Liebedienerei gegen die Russen, indem er all seine Vorräte an Holz auslieferte, und danach stand es Mining frei, Bretterzäune in Jerichow abzureißen, wo es ihr gefiel und Köpckes Feinden nicht. Dazu hatte sie einen Befehl mit sowjetischem Stempel, und was sie hinzusetzen konnte war: Cresspahl sei schuld (an der Beschlagnahme; an dem Neubau der Russen). Anders als er meinte sie patriotisch zu handeln und setzte die Pfosten nicht so tief in Steinpackungen, wie sie es bei einem Zaun für sich selbst getan hätte, und wenn sie die Farbe dünner anrühren ließ als für einen deutschen Auftraggeber, so dachte sie sich mit dem angreiferischen Seewind zu entschuldigen. Was aber tat Cresspahl, ehemals doch ein Kollege als Geschäftsmann und der Wahrer der Interessen von Jerichow? Er ließ ihr eins von den ersten Zaunbrettern als Muster schicken, und als ihre Anstriche doch noch lindgrün ausfielen, bekam sie die Kunstharzkanister auf der Stadtwaage vorgewogen, und mußte quittieren. Dann kam sie mit der Rechnung aufs Rathaus, und heftete Cresspahl ihr Geschriebenes etwa ab auf Treu und Glauben, wie es sich gehörte zwischen den Opfern der fremden Macht? Cresspahl wurde am späten Abend beobachtet, als er mit seinem K. A. Pontij Minings Zaun abschritt, in einer Art freundschaftlichen Spaziergangs geradezu, bei dem der eine mit der Meßlatte hantierte und der andere seinen Spaß an den ausgreifenden Schwüngen des Drehzirkels zur Schau stellte. Die Firma Köpcke wurde abermals aufs Rathaus bestellt, und Cresspahl rechnete ihr vor auf Quadrat und Kubik, daß sie Schmu gemacht hatte. Er sprach nicht von Betrug, nicht einmal von Irrtümern, bat sie lediglich um eine andere Rechnung. Saß krumm an seinem Bürgermeistertisch, die Ellenbogen zu dicht angelegt, und hätte ihr doch bei all seiner Müdigkeit öfter in die Augen blicken können als das eine Mal, so schräg und verwundert unter den Brauen hervor. Mine Köpcke bestand auf ihren Zahlen, unterschrieb ihre kämpferische Rechnung und nahm eine Anweisung auf die Stadtkasse für später. Geld bekam sie vorerst nicht, und sie rechnete es Cresspahl als russisches Geschäftsgebaren an, als seine Schuld übrigens.
    Und nicht nur verriet er Jerichow an die Russen, er nahm noch seinen Vorteil daraus! Während Frau Köpcke mit ihren sieben Mann die Straße an der Bäk einzäunte, wurde da an ein Haus nach dem anderen ein Zettel mit dem Wort Sequestrierung genagelt, und da der Bau von den beiden Südenden fortschritt, wurde die Bäk zu einem Beutel, dessen Öffnung täglich geringer wurde. Die Bäk war eine Wohnstraße gewesen, solide Ziegelbauten nicht älter als vierzig Jahre, oft in der Dachmitte geräumig ausgebaut, dazwischen Dr. Semigs doch fast großmächtige Villa, alle mit reichlich Gartenland von den schmalen Parzellen der Stadtstraße abgegrenzt, und aus dem wohlhabenden Gelände mußten die Besitzer hinaus in die überfüllte Stadt mit Zwangseinweisungen, unterschrieben Cresspahl. Mitnehmen durften sie was sie tragen konnten; hinterlassen sollten sie einen jeden Raum so, daß die Fremden gleich darin wohnen konnten. Und Cresspahl ließ sie nicht vor zu Beschwerden über das einzelne Zimmer, das sie nun bei Quades oder über der Apotheke bekommen hatten, womöglich zu teilen mit Flüchtlingen! er ließ die Flüchtlinge aus der Bäk vor, soviel stiller sie auch auf ihn warteten nach dieser dritten oder vierten Umquartierung in einem halben Jahr, und den Flüchtlingen verschaffte er die Räume, die die Jerichower für sich oder Verwandtschaft hatten behalten wollen, nur weil er ein jedes Haus in der Stadt so genau kannte wie die Einheimischen das seine.
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