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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Autoren: Uwe Johnson
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Kartons packten, in Gesines Alter, eine mit einem dänischen, eine mit einem schweizerischen Akzent, die beide zuerst das Kind begrüßten, ernsthaft und höflich, wie eine Person. Dies Zimmer geht mit zwei Fenstern in den hellen freien Raum über der Straße, auf den Park. Nach rechts ist die Wohnung fortgesetzt mit einem kleineren Zimmer hinter Flügeltüren mit verhängten Glasscheiben, und es hat ein Fenster gegen den Park. Hier hatte die Dänin ihr Bett. Auf der anderen Seite des Flurs, neben dem Bad, das ein Fenster auf den Park hat, ist hinter einer festen Tür das frühere Zimmer der Schweizerin, mit einem Fenster auf den Park. Im Winter ist durch das kahle Geäst das Steilufer New Jerseys zu sehen, und die Breite des Flusses, dunstige Luft können die architektonische Wüste auf der anderen Seite verwischen in das Trugbild unverdorbener Landschaft, in die Einbildung von Offenheit und Ferne. Die beiden Mädchen waren Stewardessen, die nach Europa versetzt werden sollten. Sie wollten ihre Möbel zurücklassen können auf ein Jahr. Sie wollten die Wohnung gleich übergeben. Sie sollte nichts kosten als die Miete. Sie fragten Marie, ob sie hier bleiben wolle, und Marie sagte: »Yes«. Der Hausverwalter, ein schwerer förmlicher Neger mit einem strahlenden britischen Akzent, gab auf den Cent genau auf Gesines Anzahlung heraus. Die Mädchen luden zum Mittagessen ein und ließen sich beim Packen helfen und halfen die Koffer aus dem Hotel holen, und das Kind schien betrübt, als sie nachts zum Flugplatz fuhren. Die kamen nicht wieder nach einem Jahr, aber wir besuchen die Dänin in den Ferien. Wir hatten eine Wohnung, und fragten nicht weiter. An die Stelle der Fabrikmöbel sind in den sieben Jahren viele handgemachte gekommen, zuerst in Maries Zimmer, dem schweizerischen, dann auch im mittleren, schwarzbraunes Holz, ein lindgrünes verglastes Bücherregal, blaue Rupfenvorhänge, ein flauschiger Teppich, auf dem das Kind bäuchlings aus der Zeitung vorliest, das Kinn auf den Händen, pendelnd mit den Beinen. Den ganzen Tag sitzt um die Wohnung ein ebenmäßiges Feld aus Regenrauschen. Hier wird es keine Überschwemmungen geben.
    Marie sammelt Bilder aus der Zeitung, und an diesem Tag schneidet sie das aus, das im Vordergrund die auf die Seite geworfene Leiche des Naziführers neben seinem Wagen zeigt, im Hintergrund auf dem Dach des Waschsalons einen Polizisten an der Stelle, von der der andere Nazi schoß. »Der Rabbi Lelyveld« liest sie vor: »sagt, der Naziführer sei eher ein Ärgernis als eine Gefahr gewesen«. Das Kind sagt auf englisch, in einem belehrenden Ton: Ich verstehe am Unterschied des Rabbis, was er nicht ausspricht.

27. August, 1967 Sonntag
    Die Ostdeutschen an der Macht sagen: Soeben führen wir die Fünftagewoche zu 43¾ Stunden ein, eine einzigartige sozialistische Errungenschaft. Die amerikanische Nazipartei sagt: Die Leiche unseres Führers gehört der Partei. Die Frau des verhafteten Unteroffiziers sagt: Das kann doch nicht wahr sein, mein Mann ist kein Spion. Die New York Times sagt: In den U. S. A. wurde die Vierzigstundenwoche 1938 eingeführt.
    Und das Wetter in Nord-Viet Nam war wieder gut genug für Bombenangriffe, und das Pentagon läßt durchblicken, daß die ja ihre eigenen Maschinen in China verstecken, und gestern morgen überfielen drei Männer das Schuyler Arms Hotel in der 98. Straße, schossen den Nachtportier an und entkamen mit 68 Dollar. Das war gegen drei Uhr, zwei Blocks von hier.
    Und die New York Times widmet der Tochter Stalins, beginnend auf der ersten Seite, mehr als acht volle Spalten, 184 Zoll. Diese ungeratene Tochter Etzels saß demnach bei den Goten auf Long Island, in einem Garten unter einer Schwarzeiche, und sagte: Sie sei im allgemeinen für die Freiheit.
    Sie sagt: übermittelt die New York Times: Ich glaube, daß Leute, wenn sie frei sind, zu tun, was immer sie wollen, und auszudrücken, was immer sie wollen, und sogar frei sind, Aufstände zu machen, - sie tun es.
    Sie meint die Aufstände der Neger in Detroit.
    Sie trug also ein einfaches weißes Kleid und beige Schuhe, als sie im Kreis von Freunden und Journalisten auf eine gelöste und muntere Weise Gedanken äußerte. Die New York Times hält für nötig, daß wir dies wissen.
    Die Hoffnung des Heils sagt: Ich mag Hunde lieber als Katzen. Ich hatte mal einen Hund - aber jetzt nicht mehr.
    Auf die Frage, ob sie ein Bankkonto besitze, antwortet die Tochter des Führers des sozialistischen Lagers mit
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