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Jack Holborn

Jack Holborn

Titel: Jack Holborn
Autoren: Leon Garfield
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erfahren: und infolgedessen verließen wir den Tisch erst eine ganze Zeit nach Mitternacht, als längst Weihnachtstag war.
    Zuerst versuchte ich, Mister Trumpet oder Lord Sheringham zu überreden, daß sie die Geschichte erzählten, da sie es besser könnten. Aber sie lehnten es beide energisch ab, wahrscheinlich veranlaßt durch die unausgesprochene, aber dennoch beredte Bitte meiner Mutter, alles von ihrem verlorenen Sohn zu hören.
    So fing ich also an: »Meine Geschichte muß beginnen, als ich in Bristol an Bord der Charming Molly ging …« Und bis meine beiden Freunde in die Geschichte eintraten, ging alles recht gut. Dann begannen sie zu unterbrechen und auszuschmücken und zu widersprechen, daß ich beinahe aufgab.
    Aber immer kam Mrs. Holborn zu meiner Rettung und brachte meine Quälgeister zu einem beschämten Schweigen.
    Manchmal unterbrach sie mich allerdings selber. Die Episode mit Taplow setzte ihr so zu, daß sie mich bat, als ich zur kritischen Stelle kam, ich solle sie nicht länger zappeln lassen, sondern ohne Umschweife sagen, ob ich getötet wurde, als ich auf das Deck stürzte. Darüber wurde sehr laut gelacht – und vor allem von ihr, als sie begriff, was sie da gesagt hatte. Dann entschuldigte sie sich kleinlaut und versprach, sie würde mich nicht mehr unterbrechen, wenn ich weiter erzählte.
    Sie hielt Wort und saß in dankenswertem Schweigen, bis meine Erzählung beendet war. Es ging gut: manche Stücke gefielen ihr besser als andere. Sie schien durch den Tod von Mister Morris sehr bewegt – die Versteigerung gefiel ihr ganz besonders.
    Ich machte ziemlich schnell Schluß, denn ich wollte die dunkleren Seiten der jüngsten Ereignisse nicht zu ausführlich behandeln, da sie nicht zu Weihnachten paßten. Klatschen und Bravorufe setzten ein, nachdem ich Schluß gemacht hatte, und schufen Platz für eine lebhafte, allgemeine Diskussion.
    »Und ist das alles wahr?« fragte meine Mutter. »Er war wirklich so großartig?«
    »Madame«, sagte Lord Sheringham. »Er hat noch nicht die Hälfte erzählt.«
    »Gott sei Dank«, sagte Mister Trumpet, der von seinem langen Schweigen nervös geworden war.
    »Und Sie haben ihn beide zum erstenmal am selben Tag gesehen?« fuhr meine Mutter fort, als ob sie keine anderen Sorgen hätte. »Seltsam.«
    »Das stimmt, Madame. Ich sah ihn zum ersten Mal an dem Tag, an dem Mister Trumpet an Bord kam. Er hatte mir den Rücken zugekehrt und stand brütend über einem Faß mit Pökelfleisch. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter, aber er sah nicht auf. Daher ging ich, bevor ich selbst überrascht wurde.«
    Dann ergriff Mister Trumpet das Wort und dann wieder Lord Sheringham, und sie sprachen ausführlicher über dies und das, bis meine Mutter die Hände in komischer Verzweiflung hochwarf und rief:
    »Genug! Genug! Ich kann nicht alles in mich aufnehmen. Ich möchte lachen und weinen vor Stolz – und wünschte nur, ich könnte Sie alle auf immer und ewig bei mir behalten. Ach, meine Herren! ich schwöre, daß ich heute nacht kein Auge zutun werde.«
    Am nächsten Tag – oder um genau zu sein, am selben Tag, nachdem wir geschlafen hatten und ins kleine Wohnzimmer herabgekommen waren, wurde Kriegsrat gehalten, da man allgemein annimmt, daß sechs Köpfe besser sind als einer. Das Thema des Tages, nämlich das Holborn-Vermögen, wurde lang und ernst durchgesprochen. Die Weisheit von Lord Sheringham, die Schlauheit von Mister Trumpet, der Stolz von Sir Bertram und die Geschwätzigkeit von Lady Hodges trugen alle ihr Scherflein bei, und meine Mutter und ich waren zum Zuhören verurteilt.
    Es wurde beschlossen, daß wir uns ein kleines Stadthaus kaufen sollten, in der Nachbarschaft der Dover Street – und gleichzeitig ein Landgrundstück in Lancing mieten, das keine halbe Tagereise von Preston entfernt liegt und noch näher bei Lord Sheringhams Landsitz in Shoreham.
    Darüber hinaus sollten für mich die besten Lehrer gesucht werden, damit ich eines Tages irgendeinen Beruf zieren würde, für den ich auch nur die leiseste Begabung bewies. Sonst wollten wir unsere Zeit zwischen Lord Sheringham und Mister Trumpet aufteilen, mit gelegentlichen Besuchen bei den Hodges.
     
    Das meiste davon ist längst eingetreten, bloß daß wir Mister Trumpet nicht so häufig zu Gesicht kriegen. Er ist oft unterwegs, und nicht etwa wegen der Anzeige von Mister Gracechurch, die glücklicherweise niedergeschlagen wurde: denn selbst der gesetzestreue Mister Gracechurch ließ sich überzeugen,
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