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Italienische Novellen, Band 2

Italienische Novellen, Band 2

Titel: Italienische Novellen, Band 2
Autoren: Verschiedene Autoren
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ihn zurück, damit der Priester artigerweise entfliehen könne. Die Nonnen, die aufmerksam dastanden, begannen mit lauter Stimme zu schreien: »Wunder! Wunder! Der Gekreuzigte ist entflohen!« und konnten sich nicht beruhigen. Auf ihr Geschrei liefen unzählige Leute zusammen, und als sie vernahmen, was los war, hatten sie großen Spaß. Magister Tiberio nahm andere Kleider und verließ die Stadt; und wohin er ging, weiß man nicht, aber das eine weiß ich, daß er nie wieder gesehen wurde.

Der Tugendwächter Anastasius
    In unserer Stadt, die an schönen Frauen jede andre übertrifft, befand sich eine edle, liebreizende Dame von vollendeter Schönheit, deren sehnsüchtige Augen funkelten wie der Morgenstern. Da sie sehr verwöhnt lebte und sehr zart war und vielleicht vom Gatten im Bett vernachlässigt wurde, erwählte sie sich zu ihrem Liebhaber einen kräftigen jungen Mann, der wohlerzogen und aus guter Familie war, schenkte ihm ihre Liebe und liebte ihn mehr als den eignen Gatten. Nun geschah es, daß ein sehr bejahrter Mann und Freund ihres Gatten, dessen Name Anastasius war, so heftig von Liebe zu ihr entbrannte, daß er bei Tag und Nacht keine Ruhe mehr fand; und derart groß war die Leidenschaft und Seelenqual, die er verspürte, daß er in wenigen Tagen so abgezehrt und mager wurde, daß ihm kaum noch die Haut die Knochen bedeckte. Er hatte tränende Augen, ein runzeliges Angesicht, eine Quetschnase, die ihm wie ein Destillierkolben immerzu tröpfelte, und wenn er ausatmete, verbreitete er einen solchen Gestank, daß er jeden, der sich ihm näherte, fast krank machte; im Munde hatte er nur zwei Zähne, die ihm eher schadeten als nützten. Außerdem war er gelähmt und fühlte sich niemals warm, mochte auch die Sonne im Löwen stehen und sehr heiß herniederbrennen. Da nun dieser arme Unglückliche von der Liebe entflammt und ergriffen war, suchte er die Dame oftmals, jetzt mit einem Geschenk und dann wieder mit einem andern zu verführen. Diese aber wies sie alle zurück, von wie großem Wert sie auch sein mochten, denn sie hatte seine Geschenke nicht nötig, da sie einen reichen Gatten hatte, der ihr nichts fehlen ließ. Verschiedene Male grüßte sie der Alte auf der Straße, wenn sie zum Gottesdienst ging oder davon zurückkehrte, wobei er sie bat, ihn als ihren treuen Diener anzunehmen und nicht so hart zu sein, um seinen Tod zu wünschen. Aber klug und weise antwortete sie ihm nichts und kehrte mit gesenkten Augen nach Hause zurück.
    Nun begab es sich, daß Anastasius gewahr wurde, wie der Jüngling, von dem wir oben sprachen, häufig das Haus der schönen Dame besuchte, und er spionierte so vorsichtig, daß er ihn eines Abends, als der Gatte außerhalb der Stadt war, in das Haus eintreten sah. Das war ihm wie ein Messerstich ins Herz. Und völlig verrückt und ohne Rücksicht weder auf seine Ehre noch auf die der Dame, raffte er viel Geld und Juwelen zusammen, ging zum Haus der Dame und pochte ans Tor. Die Magd hörte an der Tür klopfen, ging auf den Balkon und fragte: »Wer pocht?«
    Der Alte antwortete: »Öffne, denn ich bin Anastasius und will die Herrin in einer äußerst wichtigen Sache sprechen.« Die Magd, die ihn erkannt hatte, ging sofort zu jener, die mit dem Liebhaber in der Kammer war und sich mit ihm die Zeit vertrieb. Sie rief sie beiseite und sagte: »Herrin, Herr Anastasius pocht an das Tor.« Darauf erwiderte die Frau: »Geh und sag ihm, er soll sich um seine Sachen kümmern, denn ich öffne nachts niemandem das Tor, wenn mein Mann nicht zu Hause ist.«
    Die Magd verstand, was die Herrin wollte, und überbrachte jenem, was sie ihr gesagt hatte. Als der Alte sah, daß er zurückgewiesen wurde, begann er auf ungestüme Art zu pochen und bestand halsstarrig darauf, einzutreten.
    Die Dame, entbrannt von Unwillen und Zorn wegen der Störung wie wegen des Jünglings, der im Hause war, begab sich ans Fenster und sagte: »Ich wundere mich sehr über Euch, Herr Anastasius, daß Ihr ohne irgendwelche Rücksicht zu dieser Stunde kommt, um an eines andern Haustor zu pochen; geht fort, armer Kerl, legt Euch zur Ruhe und belästigt die nicht, die Euch nicht stören! Wenn mein Mann im Lande und zu Hause wäre, was er nicht ist, würde ich Euch gern öffnen; aber da er nicht zu Hause ist, habe ich nicht die Absicht, Euch zu öffnen.« Der Alte aber bestand darauf, daß er sie sprechen wolle und wegen einer Sache von nicht geringer Bedeutung, und hörte nicht auf, an das Tor zu pochen. Als die Frau
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