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Irrliebe

Irrliebe

Titel: Irrliebe
Autoren: Klaus Erfmeyer
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klar, dass im Internetzeitalter unter unseren Kunden mehrheitlich solche sind, die durch Anonymität geschützt sein wollen. Im Internet können Sie jeden Fantasienamen nutzen, aber Sie sind nicht davor geschützt, immer wieder Mails zu bekommen. Hier ist das anders: Die Chiffrenummer ist die einzige und geheime Verbindungsachse zwischen Inserent und Interessent. Bis drei Monate nach Erscheinen der Anzeige wird alle Post an die Adresse gesandt, die sich hinter der Chiffrenummer verbirgt. Für die Spätzünder sozusagen. Nach drei Monaten senden wir nicht mehr nach. Das geht dann in den Papierkorb. Steht alles in den Geschäftsbedingungen und schützt auch den Inserenten.«
    Er lächelte überlegen und stand auf.
    »War sie hübsch?«, wiederholte er seine Frage. »Ich kriege die Frau einfach nicht aus dem Kopf.«
    »Durchaus attraktiv, aber offensichtlich in der Tat schwierig«, antwortete Stephan unbestimmt.
    Hilbig nickte unsicher.
    »Sie tut mir leid, obwohl ich sie nie kennengelernt habe. – War sie ein glücklicher Mensch?«
    »Nein«, sagte Marie bestimmt.
    »Sind Sie sicher?«, fragte Hilbig. »Haben Sie ihr denn nicht helfen können? Als Freundin, meine ich?«
    »Marie und Franziska waren keine Freundinnen«, warf Stephan ein.
    »Also war sie vielleicht gar nicht so unglücklich, wie Sie sagen«, vermutete Hilbig, doch Marie antwortete nicht.
    Hilbig drehte sich in seinem Sessel und griff in ein auf einer Ablage stehendes Plexiglasfach. Er nahm einen Brief in die Hand, wandte sich wieder um und hielt den Umschlag in die Höhe.
    »Der ist heute noch für 0829 gekommen. Nachdem der Staatsanwalt hier war. Sie berührt die Menschen noch fast drei Monate nach Erscheinen der Anzeige. Sowas ist wirklich selten.« Er betrachtete wehmütig den Brief. »Ich gebe Ihnen den Brief, Frau Schwarz«, entschied er. »Irgendwie sind Sie ja die Inserentin. Also sind Sie auch die Adressatin. 0829 hat die Briefe offensichtlich nicht verwahrt. Ich habe den Staatsanwalt gefragt, ob man bei ihr Antwortbriefe gefunden hat, aber das hat man wohl nicht.« Er reichte Marie den Umschlag.
    »Sie sollten ihn besser der Polizei geben«, sagte Marie.
    Hilbig zuckte mit den Schultern. »Warum? Derjenige, der den Brief geschrieben hat, hat ihn erst am Samstag oder gestern an uns abgeschickt. Wir hätten ihn heute sofort weitergeleitet.« Er betrachtete aufmerksam den Poststempel. »Er ist hier in Dortmund abgestempelt worden. Vielleicht ein Mann, der erst jetzt den Mut gehabt hat, auf die Anzeige zu antworten. – Nehmen Sie ihn bitte, Frau Schwarz. Es ist ja ersichtlich kein Brief, der für die Polizei bestimmt ist.«
    Er lächelte versonnen, als Marie den Umschlag einsteckte. Er wähnte ihn bei ihr in guten Händen. Alexander Hilbig war ein eigenartiger Mensch.
     
     

5
    Marie öffnete den Brief, nachdem sie mit Stephan die Redaktion von Kult-Mund verlassen und sich zu ihm ins Auto gesetzt hatte. Sie stockte, als sie die wenigen Zeilen gelesen hatte:
     
    Sehr geehrte Dame, sehr geehrte Franziska, ich kenne Sie nicht, und es fällt mir schwer, mich an Sie zu wenden, aber ich gehe davon aus, dass Sie sich hinter der Nummer 0829 verbergen. Wer immer Sie sind: Ich bitte Sie inständig und dringend, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Ich bin in einer Vermisstenangelegenheit auf Ihre Hilfe angewiesen. Möglicherweise erweisen sich der mir aufdrängende Verdacht und ein Zusammenhang mit Ihrer Person als falsch. Für diesen Fall sichere ich Ihnen bereits jetzt Diskretion zu. Bitte melden Sie sich umgehend bei mir unter meiner angegebenen Telefonnummer. Ich bitte um Verständnis, dass ich die Polizei verständigen werde, wenn ich in den nächsten Tagen nichts von Ihnen hören sollte.
    Mit freundlichen Grüßen, Dominique Rühl-Brossard.
     
    Es folgten eine Festnetz- und eine Mobilnummer.
     
    Stephan hielt das Auto an, nahm den Brief und las verwundert die geheimnisvolle Nachricht. Das Schreiben war in steiler, sorgfältiger Handschrift verfasst und ließ deshalb hinter Dominique Rühl-Brossard eine reifere Frau vermuten.
    »Gib ihn Ylberi!«, entschied Stephan ohne Zögern und gab Marie den Brief zurück.
    »Sollten wir nicht wenigstens einmal mit ihr telefonieren?«, fragte Marie. »Es ist ohnehin fast schon 21 Uhr. Ylberi wirst du jetzt nicht mehr erreichen.«
    Stephan schwieg eine Weile. Sie fuhren mit dem Auto über den Hellweg Richtung Osten. Seit zwei Jahren wohnten sie nun in Asseln und hatten in ihrer ersten gemeinsamen Wohnung keine
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