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Irrfahrt durch die Düsterzone

Irrfahrt durch die Düsterzone

Titel: Irrfahrt durch die Düsterzone
Autoren: Hans Kneifel
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zunehmenden Düsternis vermochte Necron keinerlei Spuren zu erkennen, die auf die Anwesenheit von Abstrusen oder anderen Düsterlingen hindeuteten. Es gab weder frische Feuerstellen noch die Spuren größerer, gefährlicher Tiere. Die Pferde, deren feine Witterung ihm schon oft geholfen hatte, verhielten sich auch ruhig.
    Necron fand auch einige der Trichterblüten, in deren großen Kelchen sich Tau gesammelt hatte.
    Nachdem er den halbmondförmigen Rand der Insel durchsucht hatte, näherte er sich im Zickzack wieder dem Mittelpunkt.
    »Wir sind allein, meine starken, schnellen Grauen!« rief er. Die Pferde hoben die Köpfe und zeigten, daß sie ruhig waren.
    Necron bereitete sein Essen, zündete nach langwierigen Vorbereitungen ein winziges Feuer an und kochte Wasser darauf. Er stellte einen großen Ledersack auf und goß die Flüssigkeit, die er in den trompetenähnlichen Blüten fand, als Wasser für seine kostbaren Zugtiere hinein. Als der letzte Rest von vagem Tageslicht der nächtlichen Dunkelheit gewichen war, breitete er seine Decken unter dem Wagen aus und legte sich zum Schlafen.
    Der Alleshändler war zufrieden.
    Alles auf diesem Teil der Handelsreise lief, wie es sein sollte. Weder Unruhe noch große Freude suchten ihn heim. Es gab keinen Grund für Alpträume, ebenso wenig würde sich für Necron etwas in seiner Lebensführung ändern. Nur der Umstand, daß er vermutlich auch auf dieser Fahrt ohne eine Lieferung derben, schwarzen Samtes bleiben würde, bereitete ihm ernsthafte Sorgen.
    Aus seiner Ruhe, die der Überzeugung entsprach, ein anständiger und erfolgreicher Händler zu sein, der weder jemanden übervorteilte noch sich darum kümmert, was außerhalb »seiner« Düsterzone vor sich ging, weckte ihn ein Traum.
    Er öffnete die Augen, blinzelte und rührte sich nicht. Nur seine Hand tastete unter der Decke nach den Griffen seiner Wurfdolche.
    Kleine Tiere raschelten im Gebüsch. Die Laute seiner Pferde kamen durch die Barriere der Rohrpflanzen. Ein warmer Wind ließ die Gewächse und ihre Blätter schaukeln und zittern. Gleichmäßig hob und senkte sich das treibende Landstück. Hoch über Necron jagte ein greller Lichtstreifen dahin. Später schlug das Heulen an seine Ohren, das von einem Himmelsstein verursacht worden war. Warum war er wach geworden? Er erinnerte sich an die letzten Einzelheiten des Alptraums und merkte jetzt, daß sein Körper schweißnaß war. Langsam hob der Alleshändler den Kopf – dann erstarrte er.
    Über dem Eiland hing, schwarz und drohend, eine gewaltige Masse in der Luft. Sie schwebte einen Bogenschuß weit von ihm entfernt und ebenso hoch. Regungslos! Ihre Umrisse erkannte er nur, weil ein eisblauer Schimmer diese riesige Drohung umgab.
    Er sprang schnell auf die Füße, stieß mit der Schulter hart gegen den Wagen und starrte zu diesem Feind in der Nacht hinauf. Sein Instinkt sagte ihm, daß es sich nicht um ein einfaches Trugbild handelte.
    »Das habe ich noch nie gesehen!«, murmelte er im Selbstgespräch. »Und vielleicht hilft kein Zauber dagegen.«
    Er zögerte. Was konnte er tun? Er schüttelte den Kopf, um die Nebel des tiefen Schlafes und die Schrecken des Alptraums abzustreifen. Dann wandte er einen Zauber nach dem anderen an, aber unverändert schwebte das Etwas, das wie ein narbiger, krustenüberzogener Felsbrocken aussah, über dem Sumpf. Dort, wo der Brocken über dem Sumpf hing, bewegten sich die Rohrpflanzen und die Sumpfgewächse, als würde der Schlamm unter ihnen brodeln und kochen.
    Necron holte tief Luft, nachdem er alle seine Möglichkeiten der Magie erschöpft hatte. Dieser riesige Steinbrocken veränderte weder sein Aussehen noch seine Lage. Aber gerade als Necron zu Boden griff, seine Armbrust packte und einen Bolzen anschießen wollte, ertönte eine klare, betörende Stimme. Sie sang laut und schmelzend. Es war kein Lied und keine Melodie, die der Alleshändler kannte. Aber sie erscholl drängend und flehend zugleich über das nachtschwarze Moor. Der wuchtige Felsen bewegte sich jetzt und sank langsam dem Moor entgegen.
    Wieder versuchte es Necron mit dem Zauber der klaren Sicht. Vergeblich. Der Koloß tauchte ins schlammige Moor ein, versank bis zur Hälfte darin und erzeugte eine riesige Menge von Blasen, die unaufhörlich platzten. Das eigentümliche Singen hörte nicht auf, inzwischen mischten sich Vogelstimmen und das Krächzen und Schreien der Tiere ein.
    Fassungslos sah der Alleshändler zu, wie der Felsbrocken lautlos im Schlamm
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