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Irrfahrt durch die Düsterzone

Irrfahrt durch die Düsterzone

Titel: Irrfahrt durch die Düsterzone
Autoren: Hans Kneifel
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auf, und ihre Ausscheidungen düngten die flachen Wurzeln der Feuerbäume. Jetzt aber, als das Sechsergespann mit dem magisch verzierten Schrein durch den Wald und den wogenden Nebel rollte und rasselte, schickten sie ihre Blitze nur durch die Dunkelheit, die sich wieder einmal herabsenkte. Noch immer pfiff Necron fröhlich vor sich hin.
    Miesel, der Fledderer, würde nicht lange warten.
    Eine Nachricht, auf ein Stück Fledermausflügel geschrieben, hatte Necron unterwegs erreicht. Darauf war zu lesen gewesen, in Miesels merkwürdiger Silben- und Symbolschrift:
    Habe bestes Ware. Tauschen möglich und großes Wert für dich Necron. Mußt bringen viel gut Waren, ja?
    Wenn Miesel so etwas schrieb, dann wußte er, warum.
    Die Blitze der Feuerbäume beleuchteten schwach den nebelbedeckten Pfad. Zwischen den Stämmen krochen schwefliggelbe Streifen heran. Der Nebel in mehreren Schichten wurde so dick, daß nur noch die Köpfe der beiden Leitpferde herausragten. Necron hatte die neuen grauen Pferde ganz hinten eingespannt, als drittes Paar. So spürten sie seine Nähe besser und waren nicht störrisch oder furchtsam.
    »Traue nie dem Dunkel, vergiß die Sonne, und das Leben wird wild und voller Abenteuer…«, sang Necron. Er hatte eine weit tragende, wohlklingende Stimme. Er war überhaupt ein gutaussehender Bursche, dessen Gesicht zwei Ausdrücke hatte, mit denen er ebenso erfolgreich hausierte wie mit seiner Ware.
    Klug besonnen und scharfäugig, das war eine seiner Masken. Die zweite bedeutete: gutmütig, listig, stets zu einem Scherz aufgelegt und bereit, ein großes Glas oder einen Becher ganz auszuleeren. Aber wenn er auf dem Bock saß und sein Gefährt lenkte, trug sein Gesicht einen anderen, dritten Ausdruck.
    »Nun denn…«, sang er, dann brach sein Summen und Trällern ab.
    Der funkelnde und blitzende Wald wich zu beiden Seiten des gewundenen Pfades zurück. Die Blitze, von denen der graue Nebel hellgrau und der gelbe Nebel golden gemacht wurde, wurden seltener und zuckten in der Ferne. Der Weg selbst bestand nur noch aus einer harten Spur im weichen Boden. Bis zum Treibenden Land war es nicht mehr sehr weit, aber einmal eine falsche Abzweigung genommen, weil ein Trugbild ihn narrte, und aus einem Tag Fahrt wurde ein halber Mond der Irrfahrten.
    Necrons Ziel war zunächst der Treffpunkt, an dem er sich immer wieder mit Miesel traf, seit langen Jahren.
    Auch für Miesel, der nicht zu Unrecht »der Fledderer« hieß, stellte Necron ein unlösbares Rätsel dar.
    Er war keine schaurige Gestalt, die der Düsterzone entsprungen war. Über seine Herkunft hatte Necron niemals ein Wort verloren, aber jedermann wußte genau, daß er auf keinen Fall aus der Düsterzone stammte.
    Er war sechs Fuß groß, von blasser Hautfarbe, mit einem kantigen und schmalen Gesicht, dessen Züge weder hart noch weich zu nennen waren. Fünfunddreißig Sommer etwa zählte er, seine Hände waren schlank und gepflegt, seine Finger konnten die Werkzeuge eines Künstlers sein, und auf unbegreifliche Art war Necron auch ein Künstler. Jedermann, der in dieser Zone lange überlebte, war ein Künstler. So wie er eigensinnig darauf beharrte, stets sechs graue Pferde vor seinem Schrein gespannt zu haben, so trug er auch stets eine langärmelige Jacke aus wertvollem schwarzem Samt und einen breiten Gurt, in dem zwölf ausgewogene Wurfmesser steckten. Er war mit diesen handlichen Waffen so sicher wie kein zweiter in diesem Land.
    Eines der vorderen Pferde wieherte grell auf.
    Sofort erwachten Argwohn, Gespanntheit und Wachsamkeit. Seine Hand zuckte herunter, schlug den Saum der Jacke zur Seite und lockerte blitzschnell nacheinander drei der Messer. Der Boden, eben noch dunkel und von kriechendem Gestrüpp bedeckt, veränderte sich plötzlich. Der Nebel riß nicht auf, aber vor dem Gespann erstreckte sich ein breiter Streifen sonnenheller Landschaft. Aus den bleichen Pilzen wurden prächtige Blüten. Die Äste der Gewächse, die wie Vogelscheuchen oder knochige Geister aussahen, erhielten weißgelbe Rinde, und an den Ästchen bewegten sich hellgrüne Blätter in einem warmen, wohlriechenden Wind. Der helle Streifen wanderte auf die sechs grauen Pferde zu, zog sich wieder zurück und tastete sich auf den See zu, der seitlich des Weges auftauchte. Und auch der Weg änderte jäh seinen Charakter. Er bestand plötzlich aus kleinen, hellen Kieseln.
    Der helle Streifen wanderte hin und her, und seine Grenze hob sich gestochen scharf von der Dunkelheit ab,
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