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Irgendwann passiert alles von allein

Irgendwann passiert alles von allein

Titel: Irgendwann passiert alles von allein
Autoren: Philipp Mattheis
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sondern Leo vor mir. Seine Gestalt füllte den gesamten Türrahmen aus. Breitbeinig stand er auf der Schwelle, als sei er jetzt der eigentliche Hausherr. Auf seinem T-Shirt leuchtete ein Ketchupfleck, der seine Erscheinung eigenartigerweise nicht ins Lächerliche zog, so wie bei Leo nie irgendwas lächerlich war, sondern immer alles cool. Mit einer generösen Geste hielt er mir die Hand zum Einschlagen hin und bat mich daraufhin einzutreten. »Johannes«, murmelte er, »wir spielen Tekken«, und schlurfte ins Wohnzimmer, das am Ende des kleinen Flurs lag.
    Ich hörte Fabian kichern. Fabian war ein Zwerg, ein Kobold. Manche vermuteten, er sei einfach ein Spätzünder und würde bestimmt bald in die Höhe schießen. Doch der Wachstumsschub ließ auf sich warten. Fabian war 17 und maß gerade einmal 1,50   Meter. Trotz seiner geringen Größe war ihm das Schicksal so vieler kleiner Jungs erspart geblieben: Niemand verarschte ihn. Es war sein Geheimnis. Fabian verstand sich mit jedem – mit den Punks wie mit den Türken am Bahnhof. Die Mädchen aus der Elften mochten ihn genauso wie die porzellanpuppenhaft geschminkten frühreifen 1 3-Jährigen aus der Siebten. Trotz einer gewissen Rattenhaftigkeit, die seine leicht schiefen Schneidezähne nur noch |52| zusätzlich unterstrichen, hatte er ein hübsches Gesicht. Sein kleiner Körper steckte in der Ecke der schwarzen Ledercouch, seine Hände umkrampften das Joypad der Playstation und unter seinem Cap lugten kurz zwei glasige Augen in meine Richtung.
    Auf dem Glastisch, den sonst ordentlich sortiert Frauenzeitschriften seiner Mutter geometrisch bedeckten, stand jetzt Fabians Glasbong und rundherum verstreut sprenkelten Tabakkrümel die Glasplatte. Neben der Bong lag Leos Kanten. Es lief irgendwas von Wu-Tang Clan. Ich ließ mich auf die Couch fallen und sah den beiden bei ihren Kämpfen zu. Leo gewann jedes Mal.
    Nach einer Viertelstunde warf Fabian das Joypad in die Ecke und presste sein Rattengesicht auf den Hals der Bong. Das Sonnenlicht sank durch die Vorgärten herab und ab und zu klingelte es an der Tür. Dann stand Leo auf, öffnete die Tür und schlurfte wieder zur Couch und dem Joypad zurück. Fabian nickte den Gästen kurz zu, machte ansonsten aber keine Anstalten, die Neuankömmlinge zu begrüßen. Mindestens zwei Stunden vergingen so. Als die Couchplätze vollständig besetzt waren und auch am Boden Leute mit Bierflaschen saßen, sprang Fabian plötzlich auf und schrie mit schriller Stimme nach Alkohol. Er rief: »Alk, Alk, Alk!« Wie ein Wiesel lief er in die Küche und kam mit einer Wodkaflasche zurück.
    Sam war mit zwei Tequilaflaschen gekommen, von denen er eine sofort öffnete und sie an den Mund setzte, um daraus zu trinken, als sei es Spezi. Nach dem fünften |53| Schluck gab er auf. Er hustete und prustete ein Speichel-Schnaps-Gemisch auf den Boden. In der Ecke lachten drei Daunenjackenträger über ihn. Sam fragte herausfordernd: »Is’ was?«
    Einer der Daunenjackenträger stierte ihn an. Sam starrte zurück.
    »Is’ w-w-was?«
    »Was ist dein Problem?«
    Der Daunenjackenträger machte Anstalten aufzustehen. Doch genau in diesem Moment klopfte Schenz Sam auf die Schulter und nahm ihm die Flasche aus der Hand. Der Daunenjackenträger hatte sich wieder hingesetzt und starrte weiter auf den Fernseher. Ich rieb die Scheine in meiner Tasche und wartete darauf, dass Sam oder Schenz etwas sagten. Doch wir schwiegen. Wir hatten Glück, ein Geheimnis und das war unser Pakt: Schweigen. Darauf tranken wir abwechselnd aus der Flasche, bis sie auf ein Drittel geleert war.
    Das Haus war mittlerweile voll. Jonas, der Punk, den alle Jim nannten, stapfte mit seinen halb zugeschnürten Springerstiefeln zur Stereoanlage und begann eine Diskussion mit Özcan, dem Türken vom Bahnhof, darüber, ob es jetzt nicht auch mal an der Zeit sei Wizo zu hören, anstatt die ganze Zeit Wu-Tang Clan. Er versuchte es diplomatisch: »Wizo ist noch viel politischer als der Wu-Tang Clan.«
    Aber Özcan antwortete, er habe eh keinen Bock auf Politik, worauf Jim irgendwas von Repression durch die kapitalistischen Produktionsbedingungen faselte.
    »Gerade du als Ausländer leidest doch unter dem |54| Schweinesystem! Die sind doch alle wie damals die Nazis«, sagte Jim. Er begann sich – wie immer, wenn er zu viel getrunken hatte – in Rage zu reden. »Der Staat macht einen auf friedlich, aber verkauft Waffen in die Dritte Welt. Es geht denen nur ums Geld!«
    Irgendwann sagte Özcan:
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