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Instrumentalität der Menschheit

Instrumentalität der Menschheit

Titel: Instrumentalität der Menschheit
Autoren: Cordwainer Smith
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verwirrt drein. Er blickte flüchtig zu der Krankenschwester, zu dem Tablett, zur Injektionsspritze. Dann lächelte er den Arzt an, aber es war ein Lächeln, in dem Furcht versteckt war.
    »In Ordnung, Doktor. Sie sind der Boß.«
    Die Krankenschwester half ihm, die Ärmel aufzurollen. Sie wollte gerade nach der Spritze greifen.
    Der Arzt hielt sie auf. Er sah ihr direkt ins Gesicht, bannte sie mit seinen Blicken. »Nein, intravenös. Ich werde es tun. Verstehen Sie?«
    Sie war ein gehorsames Mädchen.
    Sie nahm ein kurzes Stück Lederband vom Tablett, wickelte es flink um den Oberarm, genau über dem Ellbogen.
    Der Arzt gab acht, war sehr ruhig.
    Er nahm den Arm, sein Daumen glitt über die Haut, bis er eine Vene fühlte.
    »Jetzt«, sagte er.
    Sie reichte ihm die Spritze.
    Patient, Krankenschwester und Arzt beobachteten, wie die Injektionsspritze sich selbst direkt in den kleinen Grat der Vene an der Innenseite des Ellbogens entleerte.
    Der Arzt zog die Spritze heraus.
    Er schien erleichtert zu sein. Er fragte: »Fühlen Sie etwas?«
    »Noch nicht, Doktor. Können Sie es mir jetzt sagen, Doktor? Ich kann keinen Ärger machen mit diesem Zeug in mir. Wo ist Larry? Wo ist Jock?«
    »Sie waren nicht auf einem Schiff, junger Mann. Sie waren allein in einer Ein-Mann-Kapsel. Sie haben nicht zwei Tage lang eine Party gefeiert, sondern zwanzig Jahre lang. Larry hat das Schiff nicht einmanövriert. Die Behörden der Erde holten Sie per Telemetrie herunter. Sie waren verhungert, dehydriert und zu neun Zehnteln tot. Das Boot besaß eine Gefrieranlage, und Sie wurden von dem Notfallsystem versorgt. Sie sind so knapp davongekommen wie noch nie jemand zuvor in der ganzen Geschichte der Weltraumfahrt. Die Kapsel verfügte über eine von den neuen Hypno-Masken. Sie müssen gerade Zeit genug gehabt haben, sie aufzusetzen, bevor das Boot die Kontrolle übernahm. Sie hatten keine Freunde auf der Reise. Sie entstammen Ihrer Phantasie.«
    »Schon in Ordnung, Doktor. Ich werde gesund. Machen Sie sich keine Sorgen um mich.«
    »Es hat keinen Jock oder Larry oder Ralph oder Milly gegeben. Das war nur die Wirkung der Hypno-Maske.«
    »Ich verstehe schon, Doktor. Es ist alles in Ordnung. Dieses Zeug, das Sie mir injiziert haben, ist guter Stoff. Ich fühle mich glücklich und verträumt. Sie können jetzt gehen und mich schlafen lassen. Sie können mir alles morgen erklären. Aber lassen Sie unbesorgt Ralph und Jock herein, wenn die Besuchszeit beginnt.«
    Er drehte sich auf die Seite. Die Krankenschwester legte die Decke über seine Schultern.
    Dann verließen sie und der Arzt den Raum. Im letzten Moment lief sie an dem Arzt vorbei und verließ vor ihm das Zimmer.
    Sie wollte nicht, daß er sie weinen sah.

Thomas Ziegler
Die Geschichte der Instrumentalität der Menschheit
     
     
    Jahrtausendschwerer Staub bedeckt die Alte Welt. Nur Legenden wissen noch bruchstückhaft von ihrer ehemals großartigen, aber inzwischen verblaßten Pracht und Herrlichkeit zu erzählen. Die Großen Kriege, die den Sturz der Nationen einleiteten und die Erde für lange Zeit in Wildnis verwandelten, haben alle Erinnerungen gelöscht.
    Lange schon sind die riesigen Städte zerfallen und von Unkraut überwuchert. Die strenge Trennung zwischen Mensch und Tier existiert nicht mehr. Und im Dickicht der Wälder, im Zwielicht filziger Niederungen und zwischen den Ruinen verwitterter Gemäuer führen dumpfe Kreaturen ein Leben, das fremder ist als der Weltraum selbst.
    Maschinen, rostig wie ein vergessener Nagel, klickern und rattern betriebsam, ziehen ruhelos von Ort zu Ort, mit verdrehten Gedanken und uralten Befehlen, von denen kein Mensch mehr zu träumen wagt.
    Manshonyagger. Wesen aus Chrom und Eisen, sonderbare Hinterlassenschaften des Sechsten Deutschen Reiches, dessen Namen keiner mehr kennt. Jagdmaschinen, die jeden töten, der kein Deutscher ist. Erschaffen, um jeden zu vernichten, der keine deutschen Gedanken denkt.
    Und in der Finsternis kalter Nächte schleichen die Bestien und die Heillosen um die isolierten Städte der Wahren Menschen, die noch leben, obwohl ihre Seele abgestorben ist. Denn es herrscht das Gesetz des Jwindz, das Gesetz jener, die sich selbst die Vollkommenen nennen und die die Herzen der Menschen mit Drogen betäuben, um dem Gott der Perfektion zu huldigen. In ihren Augen sind die Wahren Menschen nur ein Werkzeug, eine Instrumentalität, und viele schon sind aus freien Stücken ihren verblendeten Reden gefolgt. Ohne zu ahnen, daß der
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