Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
haben, Mr. Riley.» Jury ließ sich von Mrs. Riley nachschenken, eher weil er sie bei Laune halten mußte, als weil er wirklich etwas trinken wollte. Jurys Spekulationen schienen Beth zu interessieren. Sie lebte ein wenig auf. Doch Beths Neugierde und ihre plötzliche Lebhaftigkeit schlugen genauso aufs Gemüt wie der graue, bleierne Himmel. «Vielleicht wollte jemand wirklich Ihren Sohn umbringen – tut mir leid», setzte Jury hinzu, als Riley bei seinen Worten zusammenzuckte. Jury trank einen Schluck Whisky, und Beth Riley blickte ihn beifällig an. Weil er als Polizist im Dienst trank? Oder weil jemand ihren Stiefsohn hatte umbringen wollen? «Vielleicht wußte Simon etwas, was er nicht wissen sollte. Oder er hatte etwas gesehen, was nicht für seine Augen bestimmt war. Vielleicht ist er unfreiwillig Zeuge von irgend etwas geworden. Tatsache ist, er hielt sich in einer Gasse auf, und keiner seiner Schulkameraden wußte das. Sie liegt nicht auf seinem Nachhauseweg. Und die Schule war schon über eine Stunde aus, wenn der Polizeiarzt recht hat und Simon zwischen fünf und ungefähr acht Uhr abends getötet wurde. Da kommt einem doch der Gedanke, daß ihm vielleicht jemand gefolgt ist.»
    Riley war mittlerweile beim dritten Glas angelangt, er trank mit leerem Blick und hielt sich das Taschentuch ans Gesicht. «Vielleicht hat man ihn hingezerrt.»
    Jury schüttelte den Kopf. «Nein. Dafür müßte es Spuren geben. Blut, blaue Flecke –» deutete Jury an.
    Die Rileys wechselten einen Blick und schüttelten den Kopf.
    «Wollte er sich vielleicht mit jemandem treffen?»
    Ausdruckslose Mienen.
    «Kinder kommen auf die komischsten Ideen.»
    Riley schoß vom Stuhl hoch. Reichte es nicht, daß der Junge tot war? Mußte die Polizei nun auch noch seinen Charakter anzweifeln? Jetzt mischte sich sogar Beth ein. Auch wenn sie Simon nicht sonderlich zu vermissen schien – nun stand der gute Ruf der Familie auf dem Spiel.
    Jury erhob sich, entschuldigte sich für die Störung und riskierte noch einen Blick auf die Fotos, die Erinnerungsstücke auf dem Kaminsims. Beth als junges Mädchen. Beth als junge Frau. Kein Foto von Riley, soweit er sehen konnte. Wiggins stand neben ihm, klappte das Notizbuch zu, steckte den Kuli weg und griff zu seinen Halspastillen.
    Der Februar hier an der Küste war fürchterlich ungemütlich. Dorchester lag zwar zehn Meilen landeinwärts, aber für Wiggins war das immer noch zu nahe.
     
    Draußen blieben sie kurz stehen, und Jury zündete sich eine Zigarette an. «Mehr hätten wir sowieso nicht aus ihnen herausgequetscht. Und morgen wird der Junge beerdigt. Lassen wir’s für heute gut sein.»
    In Rileys Laden stand nun niemand mehr an. In den Gesichtern der Passanten las Jury eher Furcht als Neugier. Sie gingen an der Bürgersteigkante, als ob man sich am Schauplatz einer Tragödie anstecken, als ob sich die Gefahr auf ihre eigenen Kinder übertragen könnte.
    Das «Geschlossen»-Schild hing ein wenig schief. Wiggins musterte das Fasanenpärchen, das, an den Beinen zusammengebunden, mit dem Kopf nach unten im Schaufenster baumelte. «Die dürften auch einiges durchgemacht haben.» Jury dachte, er meinte die Rileys, doch dann sagte Wiggins: «Da könnte man glatt zum Vegetarier werden.»
    Jury grübelte immer noch über den Mann nach, der seinen Sohn verloren hatte, und über den Sohn selber, doch dann schob er diese Gedanken beiseite und sagte: «Nie mehr Fisch und Chips, Wiggins? Kann ich mir kaum vorstellen.»
    Wiggins überlegte. «Fisch mag ja noch angehen. Aber Fleisch nicht.»
    Jury lächelte müde «Etwas die Straße runter ist das Restaurant ‹Zum fröhlichen Richter›. Haben Sie Hunger? Es geht doch nichts über ein Mahl unter dem wachsamen Auge der Justiz.» Jury sah erneut den Fasan an.
    Mensch, Wild, Geflügel. Was galt schon ein Leben.
     
     
    W IE WENIG EIN L EBEN TATSÄCHLICH GALT , das wurde ihm klar, als sie in Winfield das Polizeipräsidium von Dorset betraten.
    «Ein neues Opfer», sagte Inspector Neal mit noch düsterer Miene als bei ihrer letzten Begegnung. «In Wynchcoombe.
    Wieder ein Junge, Davey White, ein Chorknabe.» Neals Stimme zitterte. Es schien ihn überhaupt nicht zu freuen, daß er mit seiner Theorie wohl richtig gelegen hatte. Erleichtert und gleichzeitig ein wenig schuldbewußt sagte er: «Gott sei Dank sind wir nicht zuständig. Wir sind das Revier der Polizei von Devon und Cornwall. Wynchcoombe liegt in Dartmoor.» Das Telefon unterbrach ihn – offenbar ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher