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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis
Autoren: Martha Grimes
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verdüsterten sich, während er ebenfalls zur Kirchturmspitze hinaufsah. «Ich wünschte, Er da oben fände das auch. Leben Sie wohl, Mr. Jury.»
    Pater Rourke stapfte davon.
    Als Jury dem Friedhofstor zustrebte, drang ein letzter Sonnenstrahl durch die Wolken, und Jurys hohe Gestalt warf einen langen Schatten über den Schnee. Daneben erschien ein zweiter Schatten. Jury wandte sich um und sah, daß die weiße Katze ihm folgte.
    Er war froh, daß Pater Rourke sich nicht noch einmal umgewandt hatte.
     
    Er ist Künstler, ein sehr guter. Das hatte Helen Minton über ihren Cousin gesagt. Ein Polizist, der vor ihrem Haus postiert war, informierte Jury, daß die Leute von der Spurensicherung bereits dagewesen seien.
    Ohne erst seinen Mantel auszuziehen, begann Jury, die Schreibtischfächer zu durchstöbern in der Hoffnung, etwas zu finden – das kleine goldene Notizbuch, Briefe, irgend etwas. Aber außer ein paar Rechnungen, einem Scheckbuch, einigen Fotografien und etwas Schreibpapier entdeckte er nichts. Eines der Fotos schien erst vor kurzem aufgenommen worden zu sein – zumindest konnte man Helen gut darauf erkennen –, und er steckte es ein.
    Auf diese Art arbeitete er sich durch das ganze Haus und stellte dabei fest, daß sie Sinn für Ordnung gehabt hatte, ohne jedoch pedantisch gewesen zu sein. Eine Strickjacke war nachlässig über einen Stuhl geworfen, ein wenig schmutziges Geschirr stand herum …
    Jury ging zurück ins Wohnzimmer. Unter der Treppe gab es einen Abstellraum mit einer kleinen Tür. Er öffnete sie. Im schwachen Licht der Zimmerlampe entdeckte er zwischen Gummistiefeln, Gartengeräten und alten Farbeimern ein Porträt. Er nahm es heraus, setzte sich und betrachtete es.
    Es zeigte eine viel jüngere Helen Minton. Sie saß auf einer Kiste unter der schrägen Wand einer Mansarde und blickte zu einer Dachluke hinaus, durch die Sonnenlicht hereinströmte, das ihre Gestalt überflutete und den Rest des Raums im Schatten ließ. Es war ein hinreißendes Gemälde. Jury trug es hinüber zum Kamin und hielt es vor den Druck von Washington Old Hall. Die Ränder des Porträts schlossen genau mit den helleren Streifen um den Druck herum ab.
    Zunächst dachte er, daß Bild trage keine Signatur, aber dann entdeckte er sie in einer Ecke, verborgen im Schatten des Mansardenbodens und von der Zeit verwischt wie die Inschrift in alten Grabsteinen. Der Name war nachlässig hingeworfen und kaum mehr als ein gerader Strich. Der erste Buchstabe mochte ein P sein.
    Er betrachtete das abstrakte Bild an der anderen Wand und entdeckte dort die gleiche unleserliche Signatur.
    Jury zog den Zettel hervor, auf dem er sich die Angaben auf dem Pillenfläschchen notiert hatte. Die Apotheke lag am Sloane Square. Er wünschte, der Name des Arztes stünde ebenfalls auf den Medikamentenpackungen; es hätte die Dinge vereinfacht. Aber Cullen würde den Namen ihres Arztes und ihre Londoner Adresse früh genug herausfinden; er mußte lediglich den Apotheker und den Immobilienmakler befragen, der ihr das Haus vermietet hatte.
    Jury betrachtete von neuem das Porträt und das P in der einen Ecke.
    Es erinnerte ihn an Pater Rourkes Viereck.
     
     
    Die winzige Dorfbücherei lag zwischen den beiden Pubs, dem «Cross Key» an der Ecke und dem «Washington Arms». Der Wind hatte sich endlich gelegt, und es schneite nicht mehr.
    Überwältigt von einer plötzlichen Lethargie hatte Jury sich auf die Bank an der einzigen Bushaltestelle des Ortes gesetzt und starrte jetzt über den Dorfanger hinweg ins Leere. Er zündete sich eine neue Zigarette an der Glut der alten an. Im Sommer müßte er einmal so richtig Ferien machen; sein letzter längerer Urlaub lag schon Jahre zurück. Vielleicht würde er seinen Freund Melrose Plant auf Ardry End besuchen. Er überlegte, ob Plant wohl angelte. Sie könnten nach Schottland zum Angeln fahren. Sie verstehn doch nicht die Bohne vom Angeln, Sie Doofkopp , würde Trimm ihm wahrscheinlich erklären. Und woher auch, wenn sein ganzes Training darin bestand, daß er durch London pirschte und seine Freizeitvergnügungen sich auf gelegentliche Kneipenbesuche in Begleitung einer gelegentlichen Frauenbekanntschaft beschränkten? In den Pubs war er häufiger zu sehen, mit Frauen dagegen seltener. Die beiläufigen Affären, die jedermann hatte und die keinem das Herz brachen, schienen nicht seine Sache zu sein. Er sammelte immer nur die Bruchstücke des Lebens auf. Besser, er dachte nicht weiter darüber nach, sonst
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