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Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer

Titel: Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
Autoren: Peter Robinson
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konnte ich den kleinen Damm erkennen, hinter dem sich der Fluss bei der Einmündung in den Harksmere-Stausee verjüngte. Verwirrt und meiner Gefühle unsicher, setzte ich mich ans Ufer und betrachtete die Umgebung.
      Wo ich saß, hatte früher die alte Eisenbahnlinie entlanggeführt, der Zug, mit dem ich während meiner Kindheit so oft gefahren war. Die einspurige Trasse nach Harrogate war für uns während des Krieges die einzig wirkliche Verbindung zur Welt jenseits der Grenzen von Hobb's End gewesen. Natürlich hatte der Verkehrsminister sie vor drei, vier Jahren stilllegen lassen, die Schienen waren bereits mit Unkraut überwachsen. Die Gemeinde hatte an der Stelle, wo früher der Bahnhof gewesen war, Trauerweiden gepflanzt. Oft hatte ich dort bei Mrs. Shipley eine Fahrkarte gekauft und auf dem Bahnsteig mit wachsender Unruhe auf das ferne Stampfen und Pfeifen der alten Dampflok gewartet.
      Die Zeit verging, während ich so dasaß und in Erinnerungen schwelgte. Ich war erst spät aufgebrochen, die Strecke von London hierher hatte sich hingezogen. Bald breitete sich im Wald um mich herum die Dunkelheit aus und machte sich zwischen den Zweigen und in der Stille zwischen den Rufen der Vögel breit. Eine wispernde Brise kam auf. Das schwindende Licht fiel schräg aufs Wasser, so dass die leicht aufgeraute Oberfläche aussah, als sei sie mit rosafarbenem Puder bestäubt. Langsam verdunkelte sich auch der See und nahm ein tiefes Tintenblau an.
      Dann ging der Vollmond auf und verstreute sein knochenweißes Licht. Ich stellte mir vor, in seinem Schein das Dorf, das früher einmal gewesen war, im Wasser zu sehen, als sei es ein im Wasserglas bewahrtes Bild. Da lag es, das Dorf, ausgebreitet unter mir, glitzerte und schimmerte dunkel unter der kaum wahrnehmbar gekräuselten Oberfläche.
      Beim Betrachten bekam ich das Gefühl, als bräuchte ich nur die Hand auszustrecken, um das Bild berühren zu können. Wie die Welt hinter dem Spiegel in Cocteaus Orpheus. Wenn man die Hand ausstreckt und das Glas berührt, wird es zu Wasser und gibt den Weg frei in die Unterwelt.
      Was ich sah, war die Vision des Dorfes, so wie es gewesen war, als ich dort lebte: Rauchfahnen aus Schornsteinen auf Schiefer- und Steindächern, die dunkle Mühle auf dem kleinen Hügel im Westen, der gedrungene Kirchturm, die gewundene High Street neben dem schmalen Fluss. Je länger ich aufs Wasser blickte, desto mehr hatte ich den Eindruck, ich könnte die Menschen ihren täglichen Verrichtungen nachgehen sehen: einkaufen, ausliefern, tratschen. In meiner Vision konnte ich sogar unseren kleinen Laden erkennen, wo sie mir an jenem stürmischen Frühlingstag 1941 zum ersten Mal begegnete. Der Tag, an dem alles begann.
     
     

* 1
     
    Adam Kelly spielte gern in verlassenen Häusern, er liebte den modrigen Geruch der alten Zimmer, das Ächzen und Stöhnen, wenn er darin umherlief, das durch die Dachbalken fallende Sonnenlicht, das gestreifte Schatten auf die Wände warf. Er fand es herrlich, über die fehlenden Treppenstufen zu springen, das Herz schlug ihm bis zum Hals, wenn er von Sparren zu Sparren hüpfte, Gipsstaub aufwirbelte und zusah, wie die Staubpartikel im gefilterten Licht tanzten.
      An diesem Nachmittag hatte Adam ein ganzes Dorf zum Spielen.
      Er stand am Rand eines flachen Tales, blickte auf die Ruinen hinunter und freute sich auf das bevorstehende Abenteuer. Dies war der Tag, auf den er gewartet hatte. Vielleicht eine Gelegenheit, die sich nur einmal im Leben bot. Dort unten war alles möglich. Heute hing die Zukunft des Universums von Adam ab; das Dorf war ein Test, eine Herausforderung, die er bestehen musste, bevor er zur Stufe 7 vorrücken konnte.
      Die einzigen Menschen, die zu sehen waren, standen am hinteren Ende bei der alten Flachsmühle: ein Mann in Jeans und rotem T-Shirt und eine ganz in weiß gekleidete Frau. Sie taten, als seien sie Touristen, hielten ihre Videokamera in alle möglichen Richtungen, aber Adam argwöhnte, sie könnten die gleiche Absicht haben wie er. Er hatte das Spiel schon oft genug auf dem Computer gespielt, er wusste, Tarnung war alles und nichts war das, was es vorgab zu sein. Der Himmel steh uns bei, dachte er, wenn sie es vor mir schaffen.
      Halb rutschte, halb lief er die morastige Böschung hinunter und kam unten auf der roten, ausgebrannten Erde schlitternd zum Stehen. Es gab noch immer viele sumpfige Stellen; er vermutete, dass das ganze Wasser nicht innerhalb weniger Wochen
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