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Inside Polizei

Inside Polizei

Titel: Inside Polizei
Autoren: Schubert Stefan
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wie viele Polizisten dafür bereitgestellt wurden. Ulrike und Patrick rechneten wie in den letzten Jahren mit einer politisch beeinflussten Abwägung der Polizeiführung. Die Verantwortlichen wollten zwar nicht in Verdacht geraten, rechtsfreie Räume zu dulden, Happening hin oder her. Aber die Führung beabsichtigte auch nicht, Hunderttausende junge Menschen pauschal zu kriminalisieren und jedem Besucher Drogenkonsum und -handel zu unterstellen. Es war angedacht, die friedliche Masse nicht über Gebühr zu verärgern und gegen sich aufzubringen. Falls Partygäste zu blöd und zu offensichtlich mit Drogen handeln würden, müssten die Polizisten sie natürlich abfischen, die Ware beschlagnahmen und die Personen anklagen. Groß angelegte Rauschgiftkontrollen waren aber weder gewünscht noch eingeplant.
    Ulrike und Patrick erfuhren in den Vorbesprechungen, dass der gesamte Einsatz mit einer Früh- und einer Spätschicht abgearbeitet werden sollte. Als Grund dieser Verfahrensweise wurden arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen über die sonstige Einsatzdauer von Kräften und der Kostenfaktor angeführt. Da im Ruhrgebiet ortsnah beinahe unbegrenzt Einsatzhundertschaften zur Verfügung standen, plante die Polizeiführung, zur Halbzeit des Events einen Teil der Kräfte durchzutauschen, um so zusätzliche Logistik, Aufwand und Kosten für Übernachtung und Verpflegung Tausender Einsatzkräfte zu sparen. Denn unabhängig vom erhofften Imagegewinn und den verbreiteten Werbebotschaften der Initiatoren blieb die Tatsache, dass die Kosten für die Heerscharen von Polizeibeamten der Steuerzahler zahlen musste. Die Beamten rechneten also mit einem zwölf- bis dreizehnstündigen Arbeitstag, und danach sollte es wieder heimwärts gehen.
    Patrick, dem 38-jährigen Polizeioberkommissar, war das mehr als recht. Denn ihn erwartete gegen Mitternacht ein heißes Date. Selbst bei einer Verlängerung der Frühschicht, Stau auf der Rückreise und inklusive einer Dusche in der Dienststelle sollte er es pünktlich nach Hause zum Mitternachtsgrillen mit seiner großen Liebe schaffen, seiner Ehefrau Britta. Sie wollten in der lauen Sommernacht Scampi grillen, einen angenehm kühlen Chardonnay genießen und so ihren nur wenige Tage zurückliegenden achten Hochzeitstag feiern. Als Höhepunkt dieser Nacht stand ungestörter, leidenschaftlicher Sex auf der Speisekarte, denn die siebenjährige Tochter Hannah schlief aus diesem Anlass bei der Oma. Acht Jahre Ehe stellten im zeitaufreibenden und von Scheidungsbetroffenen nur so wimmelnden Polizeiapparat eine wahre Seltenheit dar. Und dies galt es gebührend zu zelebrieren.
    Aber erst musste noch die Loveparade über die Bühne gehen.
    Der Polizeioberkommissar Patrick diente auf eigenen Wunsch in der Hundertschaft, ihm gefiel die abwechslungsreiche Arbeit. Keine Woche glich der vorherigen, und sie eilten im Hundertschaftsrahmen quer durch Deutschland von einem Brandherd zum nächsten. Das war sein Ding.
    Die 29-jährige Ulrike sah ihre Arbeit in der Hundertschaft dagegen nur als Durchgangsstation an. Sie störte die hohe Arbeitsbelastung, insbesondere am Wochenende. Dazu kam noch eine steigende Gewaltbereitschaft bei vielen ihrer polizeilichen Gegenüber, der sie sich lieber nicht aussetzen wollte. Obwohl sie weder feige war noch sich wegduckte, wenn es zur Sache ging. Ulrike war eine, »die zupacken konnte, wenn es sein musste«, wie viele Kollegen in der Hundertschaft ihr bescheinigten. Sie und ihre Arbeit waren dort respektiert, was für eine junge Frau in einer männlich dominierten Einheit keine Selbstverständlichkeit war. Ulrike beabsichtigte, eines Tages im ermittlungstechnischen Bereich des Präsidiums zu arbeiten. Einen Teil draußen auf der Straße, den anderen Teil hinter dem Schreibtisch mit klaren Arbeitszeiten. Ungeachtet mehrfacher Bewerbungen hatte sie noch keine neue Verwendung zugeteilt bekommen, sie solle sich etwas gedulden, hieß es vonseiten ihrer Vorgesetzten. So beeinflusste der Befehl zum Einsatz bei der Loveparade an diesem Wochenende im Juli 2010, den das Innenministerium Nordrhein-Westfalens erteilt hatte, auch ihr weiteres Leben. Schwerwiegender und gravierender, als sie es sich in ihren schlimmsten Albträumen ausgemalt hätte.
    In den Lagevorbesprechungen und der Befehlsausgabe in Ulrikes und Patricks Hundertschaft tat man sich schwer, die erwartete Gesamtbesucherzahl zu bestimmen. Man kalkulierte nach den Vorgaben des Veranstalters, der von rund einer Million Raver ausging.
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