Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
Autoren: Geraldine Brooks
Vom Netzwerk:
weiterzugehen.
    Vielleicht hatte Tequamuck ja das Feuer mit einem Zauberspruch belegt, denn als wir uns ihm näherten, flammte es einen Moment lang so hoch auf, dass ich bei dem plötzlichen Hitzeschwall zusammenzuckte. Die Gestalt des Medizinmannes schien in der glühenden Luft zwischen uns zu flackern und zu flimmern.
    »Was ist der Grund, dass das Kind des toten englischen pawaaw Tequamuck zu sehen begehrt?«
    Dass er Englisch sprach, brachte mich einen Moment lang völlig aus der Fassung. Ich konnte mir nicht erklären, wie er es geschafft hatte, sich diese Sprache anzueignen, da er sich doch immer von uns ferngehalten hatte.
    »Ich komme … ich komme, um Euch um Eure Hilfe zu bitten.« Meine Stimme bebte.
    »Meine Hilfe?« Er gab ein freudloses Lachen von sich. »Meine Hilfe? Was soll das? Und was ist mit der ach so großen Macht deines einen Gottes und seines gemarterten Sohnes? Haben sie dich endlich im Stich gelassen?«
    Ich schwenkte auf Wampanaontoaonk um. Es war Jahre her, dass ich es gesprochen hatte, doch die anmutigen langen Wörter kamen mir noch immer leicht über die Lippen. »Bitte, hört mich an. Euer Neffe ist krank. Er liegt im Sterben. Und er bittet Euch um Euren Beistand. Ich habe ihn gehört, Nacht um Nacht. Ich komme, um Euch zu bitten, meinem todkranken Freund zu helfen.«
    »Mein Neffe ist krank? Und du denkst, das ist mir neu? Mein Neffe ist krank – ja, todkrank sogar – seit dem Tag, an dem er begann, mit dir, Sturmauge, zu gehen.«
    Ich spürte, wie alle Luft aus mir wich und mir die Knie endgültig weich wurden, sodass Noah mich stützen musste, damit ich nicht fiel. Tequamuck lächelte. Er war vermutlich an eine solche Wirkung auf andere Menschen gewöhnt. Ich versuchte, mein Denken mit Gebeten zu füllen – mit all den gewohnten Versen und Psalmen, die mir zur zweiten Natur geworden waren. Doch die Angst, die mir dieser Mann einflößte, war wie ein schwarzer Vorhang, und mir wollte kein einziges Wort einfallen. Tequamucks Stimme schlug den singenden Tonfall an, den er bei seinen Zeremonien verwendete.
    »Ich habe Cheeshahteaumauks Schreie gehört. Ich bin seinem Geist begegnet. Es ist ein schwacher Geist, hin- und hergerissen zwischen zwei Welten. Und das ist dein Werk, Sturmauge. Du nennst ihn Freund. Du nennst ihn Bruder. Dein Freund und Bruder ist auf Wanderschaft, und er hat sich verirrt. Er sucht. Und weißt du warum?«
    Ich schluckte und schloss die Augen. Vielleicht wusste ich es ja. Oder vielleicht war Tequamuck dabei, mich zu verhexen, indem er mir Dinge einflüsterte. Mein Mund war so trocken wie Asche, und ich brachte kaum die Atemluft auf, um zu sprechen.
    »Er sucht nach dem Sohn von Iacoomis. Er kann ihn nicht finden, und das bekümmert ihn. Er fürchtet, ihn nie zu finden. Jener Sohn hat nie den Weg in die Geisterwelt beschritten. Er hat niemanden, der ihn führt. Cheeshahteaumauks Herz weiß das. Er weiß, wenn er nach seinem Freund sucht, läuft er Gefahr, die Geisterwelt seiner Vorfahren zu verlassen, und alle, die dort mit ihm sind. Und dann wird er in das Haus der toten Engländer gehen müssen.«
    Ich ließ Noahs stützende Hand los und sank auf die Knie hinab. Ein tiefes Schluchzen entrang sich meiner Kehle. Tequamuck schaute angewidert auf mich herab. Ich wusste, dass ein solches Verhalten mich in seinen Augen erniedrigte. Er drehte sich um und begann auf sein wetu zuzugehen. Für ihn war die Unterredung offenbar beendet. Doch das konnte ich nicht zulassen. Ich musste wissen, wie ich Caleb helfen konnte. Ich nahm meine gesamte mir verbleibende Willenskraft zusammen, wischte mir die Tränen vom Gesicht und zwang mich aufzustehen.
    »Wartet, bitte!«, rief ich. »Bitte sagt mir, was ich tun muss. Wie kann ich ihm helfen?«
    Tequamuck drehte sich nicht um. Er war am Eingang des wetus angekommen und hob den gewebten Vorhang, der als Tür diente. Ich trat einige Schritte vor. Noah streckte eine Hand aus, um mir Einhalt zu gebieten, doch ich schüttelte sie ab. Ich schaute ihm in die Augen. »Wenn du mein Freund bist – wirst du mich das tun lassen.« Da zog er, in einer Geste der Hilflosigkeit, seine Hand ganz fort. Ich lief zum wetu und packte den Medizinmann am Arm. Ich spürte, wie ihn ein Schauder durchlief. Er erstarrte und drehte sich um.
    Seine Augen über den ockerfarbenen Streifen waren schwarz wie Kohle. Es waren schlaue, forschende Augen. Ich fühlte mich wie aufgespießt von diesem Blick.
    »Was willst du von mir? Du hast mir doch schon alles
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher