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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman
Autoren: Colleen McCullough
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du sie nur vom Anschauen kennst, Richard.« Mr Thistlethwaite nippte an seinem Rum und wartete mit einem Gefühl wonnigen Behagens darauf, dass die Wärme sich in seinem Körper ausbreitete.
    »Beim Anschauen bin ich den Schiffen nahe genug«, sagte Richard Wange an Wange mit William Henry.
    »Sehnst du dich nie nach fernen Ländern? Nicht einmal nach London?«
    »Nein. Ich bin in Bristol geboren und ich werde in Bristol sterben. Weiter als Bath und Bedminster will ich gar nicht reisen.« Er hielt William Henry von sich weg und sah ihm in die Augen. Der kleine William Henry erwiderte den Blick in Anbetracht seines Alters erstaunlich ruhig. »Na, William Henry? Vielleicht wird aus dir einmal der Weltreisende der Familie.«
    Doch das waren müßige Spekulationen. Richard genügte es vollkommen, dass er ihn zum Sohn hatte.
    Die Angst war freilich nie fern. Peg und Richard registrierten besorgt die kleinste Veränderung. War der Stuhlgang des kleinen William Henry nicht zu dünn? War seine Stirn etwa zu heiß? Hinkte er in der Entwicklung seinen Altersgenossen nach? In den ersten sechs Monaten von William Henrys Leben mochte das noch verzeihlich sein, aber seine Großeltern sorgten sich, wie es weitergehen würde, wenn er begann, seine Umwelt wahrzunehmen, zu krabbeln, zu sprechen und - zu denken! Die abgöttisch liebenden
Eltern würden das Kind verziehen! Beide nahmen begierig alles auf, was Vetter James, der Apotheker, zu Themen zu sagen hatte, über die sich nur wenige Bristoler - oder andere Menschen in England - den Kopf zerbrachen. Etwa zum Zustand der Kanalisation, zum fauligen Wasser von Froom und Avon, zu den ungesunden Dämpfen, die im Winter wie im Sommer gleichermaßen über der Stadt lagen. Eine Bemerkung von Vetter James über den öffentlichen Abtritt in der Broad Street führte dazu, dass Peg mit Lappen, Bürste und Teeröl in das Klosett unter der Treppe einrückte und den alten Steinsitz und den Boden erbarmungslos schrubbte. Richard begab sich unterdessen zum Rathaus und verursachte dort einen solchen Aufruhr, dass tatsächlich ein vielköpfiger Putztrupp in der Broad Street eintraf, um den Abtritt zu leeren, einige Male durchzuspülen und das Ergebnis dieser Aktivitäten beim Key Head direkt neben dem Fischmarkt in den Froom zu kippen.
    Doch als William Henry ein halbes Jahr alt war und anfing, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln, stellten seine Großeltern erleichtert fest, dass er zu den Kindern gehörte, die man nicht verderben konnte. Der Junge hatte ein so einnehmendes, bescheidenes Wesen, dass er die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit zwar dankbar akzeptierte, sich aber nie beklagte, wenn sie ausblieb. Er weinte, wenn ihm etwas wehtat oder ein Narr im Wirtshaus ihn erschreckte, obwohl er vor Mr Thistlethwaite, dem bei weitem Furcht erregendsten Stammgast des Cooper’s Arms, nicht die geringste Angst hatte, egal wie laut Mr Thistlethwaite brüllte. William Henry hatte eine nachdenkliche, stille Natur. Er lächelte bereitwillig, aber er lachte nicht. Umgekehrt wirkte er auch nie traurig oder übel gelaunt.
    »Für mich hat er was von einem Klosterbruder«, erklärte Mr Thistlethwaite. »Womöglich habt ihr euch da einen Katholiken ins Nest gesetzt.«
     
    Fünf Tage zuvor war im Cooper’s Arms eine schreckliche Nachricht eingetroffen. Es hatte einige Pockenfälle gegeben, leider zu weit voneinander entfernt, um an Quarantäne denken zu können, die erste und letzte verzweifelte Hoffnung einer jeden Stadt.

    Pegs Augen wurden schreckensstarr: »Nein, Richard, nicht schon wieder!«
    »Wir lassen William Henry impfen«, erwiderte Richard. Sofort schickte er eine Nachricht an Vetter James, den Apotheker.
    Der schaute entsetzt, als er hörte, was von ihm verlangt wurde. »Ausgeschlossen, Richard! Für die Impfung muss er älter sein! Ich habe noch nie gehört, dass ein so kleines Kind geimpft wurde! Es würde ihn umbringen! Schickt ihn lieber aufs Land oder behaltet ihn hier und isoliert ihn, so gut ihr könnt. Und egal was ihr tut, betet.«
    »Impfe ihn, Vetter James, bitte.«
    »Das werde ich nicht!« Vetter James wandte sich an Dick, der mit grimmiger Miene zuhörte. »Dick, sag doch was! Tu was! Ich flehe dich an!«
    Doch wenigstens dieses eine Mal teilte Dick die Meinung seines Sohnes. »Wir können William Henry weder aufs Land schicken noch isolieren, Jim. Um ihn aus Bristol herauszubringen - nein, lass mich ausreden -, müsste man eine Pferdedroschke mieten, aber wer weiß, wer
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