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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman
Autoren: Colleen McCullough
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stehenden Sonne in goldenes Licht getaucht. Die Öllampen hingen an den Balken der Wände, die sich schwarz vom weißen Putz abhoben. Die einzige tragbare Lampe brannte am Platz des Wirtes hinter dem Schanktisch. Am anderen Ende des Tisches stand Ginger, die berühmteste Attraktion des Cooper’s Arms.
    Ginger war eine große, hölzerne Katze, die Richard nach dem berühmten Vorbild Old Tom in London geschnitzt hatte. Dabei hatte er das Original zu seinem Stolz noch deutlich übertroffen.
Die Katze stand mit dem Hinterteil zur Kundschaft diagonal auf dem Tisch, orange gestreift, mit lachend aufgerissenem Maul und keck erhobenem Schwanz. Wenn ein Gast einen Becher Rum wollte, legte er eine Münze auf die bewegliche Zunge, die daraufhin mit hörbarem Klicken nach unten klappte. Dann hielt er seinen Becher unter die naturgetreu nachgebildeten Hoden und zog am Schwanz. Prompt pinkelte die Katze genau ein halbes Pint Rum in den Becher.
    Natürlich waren die älteren Kinder die eifrigsten Benutzer. So mancher Papa und manche Mama wurden beschwatzt, mehr zu trinken, als sie eigentlich wollten, nur des Vergnügens wegen, das es bereitete, eine Münze in Gingers Maul zu stecken und dann am Schwanz zu ziehen und zu beobachten, wie er einen Strahl aus Rum pinkelte.
    Die Gäste schwitzten und stanken nach schweißgetränkten Kleidern aus Wolle, Baumwolle und Leinen, die kaum je gewaschen wurden. Mäntel wurden nie gewaschen, weil sie dann einliefen und sich verzogen. Schon ein Regenguss bekam ihnen schlecht. Der Geruch, der vom Abort in die Wirtsstube wehte, war in diesen Tagen nicht so schlimm, weil die dazugehörige Sickergrube unter der Broad Street geleert worden war. Den Gästen stand der Abort nicht zur Verfügung. Sie mussten sich ihre Bedürfnisse verkneifen oder einen dunklen Winkel in der Bell Lane finden. Die roh gezimmerten Tische und hölzernen Bänke oder Stühle konnte man mit Wasser abwaschen, wenn jemand sich übergeben hatte. Der Fußboden war zwei Zoll hoch mit Sägespänen bedeckt, die Richard und Dick jede Woche mit einem Handwagen von Williams Sägewerk in Cuckold’s Pill holten. Der Handwagen war auf dem Hin- und auf dem Rückweg beladen. Die alte, säuerlich riechende und mit Erbrochenem getränkte Streu wurde auf dem Hinweg in den Avon gekippt.
    Die Arme gefährlich hoch mit Holzschüsseln voll dampfender Suppe beladen, ging Richard zwischen den Tischen hindurch und wechselte mit den Gästen ein paar Worte. Seine Augen strahlten, wenn er von William Henrys Aussichten auf Genesung erzählte.
    Mr Thistlethwaite war nicht da. Er kam um elf Uhr morgens
und saß dann bis um fünf am Fenster an »seinem« Tisch mit dem eingelassenen Tintenfass und den bereitgelegten Schreibfedern - das Papier muss er selbst kaufen, pflegte Dick trocken zu bemerken - und verfasste seine Satiren. Gedruckt wurden seine Schriften von Sendalls Buchhandlung in der Wine Street, verkauft ebenfalls dort und an einigen Ständen im Pie Powder Court und auf dem Pferdemarkt, die weit genug von Sendall entfernt waren, um dessen Absatz nicht zu beeinträchtigen. Die Satiren verkauften sich hervorragend, denn Mr Thistlethwaite schrieb eine spitze und dazu noch äußerst treffende Feder. Meist nahm er Mitglieder der Stadtverwaltung wie den Bürgermeister, den Leiter der Zollbehörde und den Sheriff aufs Korn, daneben aber auch religiöse Vereinigungen oder Richter.
    Das Abendessen nahm seinen Gang, und eine zufriedene Sattheit machte sich unter den Gästen breit. Sobald die alte Uhr neben der Schiefertafel acht zeigte, rief Dick: »Bitte bezahlen, meine Herren!« War die blecherne Kasse ordentlich gefüllt, geleitete er den letzten schwankenden Zecher zur Tür hinaus und verriegelte sie fest. Die Kasse nahm er mit nach oben und stellte sie unter sein Bett. An den Griff band er eine Schnur, das andere Ende der Schnur befestigte er an seinem großen Zeh. In Bristol gab es viele Diebe, darunter wahre Künstler. Am nächsten Morgen schüttete Dick die Münzen in eine Tasche aus Segeltuch und brachte sie zur Bristol Bank in der Small Street, die unter anderem von den Quäkern Harford, Ames und Deane geleitet wurde. Es spielte allerdings keine Rolle, zu welcher der drei Bristoler Banken man sein Geld brachte - es wurde stets von Quäkern verwaltet.
     
    William Henry schlief fest auf der rechten Seite. Richard hob das Kinderbettchen näher an sein Bett heran, zog den Schurz aus, dann das weit geschnittene weiße Baumwollhemd, die Leinenhosen, die
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