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Insel der blauen Delphine

Titel: Insel der blauen Delphine
Autoren: Scott O Dell
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vor wenigen Stunden hatte unser Stamm zweiundvierzig Männer gezählt, die, welche zum Kämpfen zu alt waren, miteingerechnet. Am Abend, als die Frauen alle Krieger, die am Strand der Korallenbucht gefallen waren, ins Dorf zurückgetragen hatten, lebten nur noch fünfzehn. Sieben davon waren alte Männer. Es gab keine Frau, die nicht einen Vater oder einen Gatten, einen Bruder oder einen Sohn verloren hatte. Der Sturm hielt zwei Tage an und am dritten Tag begruben wir unsere Toten am südlichen Zipfel der Insel. Die Leichen der gefallenen Aleuter verbrannten wir. Danach blieb es im Dorf viele Tage lang still. Die Leute verließen ihre Hütten nur, um Nahrung zu suchen, und was sie fanden, das aßen sie schweigend. Einige wollten für immer fort. Sie wollten in ihren Kanus zu einer Insel namens Santa Catalina fahren, die weit drüben im Osten liegt, aber andere sagten, das Wasser sei dort zu knapp. Darauf versammelte sich der Stamm, um zu beraten. Nach langem Hin und Her wurde beschlossen, dass alle in Ghalasat bleiben würden. Der Rat hatte auch einen neuen Häuptling gewählt. Er trat an meines Vaters Stelle und sein Name war Kimki. Kimki war sehr alt, aber er hatte sich in jungen Jahren als starker Mann und guter Jäger hervorgetan. An dem Abend, da er zum Häuptling gewählt wurde, versammelte er alle seine Leute um sich und sprach: “Die meisten von denen, die Vögel fingen und Fische aus dem tiefen Wasser holten und Kanus bauten, sind gegangen. Die Frauen, von denen wir nie mehr verlangten, als dass sie zu Hause blieben, kochten und Kleider nähten, müssen jetzt den Platz der Männer einnehmen und mutig den Gefahren begegnen, die außerhalb des Dorfes in großer Zahl auf uns lauern. Es wird darob ein Murren geben in Ghalasat. Es wird solche geben, die nicht arbeiten wollen. Die sollen bestraft werden. Denn wenn nicht alle helfen, müssen alle untergehen. ” Kimki wies jedem Angehörigen des Stammes eine bestimmte Arbeit zu. Ulape und ich hatten die Aufgabe, Abalone zu sammeln. Diese Schalentiere klebten haufenweise an den Felsblöcken längs der Küste. Wir sammelten sie bei Ebbe ein und trugen sie in Körben auf die Mesa, wo wir das dunkelrote Fleisch aus den Schalen schnitten und auf flachen Steinen ausbreiteten, damit es an der Sonne trocknete. Ramo musste auf Geheiß die Abalone vor den Möwen und besonders vor den wilden Hunden schützen. Nach dem Tod ihrer Besitzer hatten Dutzende von Dorfhunden die Siedlung verlassen und sich zu dem wilden Rudel gesellt, das auf der Insel umherstreifte. Sie waren bald so bösartig wie ihre ungezähmten Artgenossen und kehrten nur ins Dorf zurück, um Futter zu stehlen. Ulape und ich halfen meinem kleinen Bruder Ramo jeden Abend, wenn er die Abalone in Körben einsammeln und in den Schutz des Dorfes tragen musste. Unterdessen pflückten andere Frauen die scharlachroten Äpfel, die man Tunas nennt, von den Kaktusstauden. Wieder andere fingen Fische oder sie legten Netze aus, in denen die Vögel hängen blieben. Die Frauen arbeiteten so fleißig, dass es uns im Grunde besser ging als früher, da das Fischen und Jagen den Männern vorbehalten war. Es hätte ein friedliches Leben sein können, doch es war nicht friedlich in Ghalasat. Die Männer sagten, die Frauen hätten Pflichten übernommen, die von Rechts wegen Männersache seien, und nun, da die Frauen jagten, sähen sie verächtlich auf die Männer herab. Daraus entstand viel Lärm und Streit, bis Kimki verkündete, die Arbeit werde neu verteilt - von jetzt an würden die Männer jagen und die Frauen ernten. Da wir schon genügend Vorräte beisammenhatten, um den Winter zu überstehen, kam es ohnehin nicht mehr darauf an, wer auf die Jagd ging. Dies war jedoch nicht der wirkliche Grund, weshalb es in Ghalasat keinen friedlichen Herbst und Winter gab. Jene, die in der Korallenbucht gefallen waren, lebten immer noch unter uns. Wo wir uns auch befanden, auf der Insel oder auf dem Meer, ob wir fischten oder aßen oder nachts an unseren Feuern saßen, überall und immer waren sie mit uns. Jeder von uns hatte einen Toten, an den er denken musste. Ich dachte an meinen Vater. Er war so groß gewesen, so stark und gut. Seit dem Tode meiner Mutter hatten Ulape und ich uns bemüht, die Pflichten zu erfüllen, die einst die ihren gewesen waren. Ulape hatte noch viel mehr geleistet als ich, schon weil sie älter war. Jetzt, da wir auch keinen Vater mehr hatten, mussten wir uns allein um Ramo kümmern, und das war nicht leicht,
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