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Infiziert

Infiziert

Titel: Infiziert
Autoren: Scott Sigler
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einige von ihnen auf die Samen, die menschlichen Hautschuppen zum Verwechseln ähnlich sahen. Die Milben verschlangen die winzigen Samen; sie waren nicht mehr als ein weiterer Happen im endlosen, üppigen Festmahl aus totem Fleisch.
    Das Verdauungssystem der Milben hämmerte an die äußere Hülle der Samen. Eiweißspaltende Enzyme, so genannte Proteasen, griffen die Membran an, schwächten und lockerten sie. Die Membran riss an mehreren Stellen, löste sich aber nicht komplett auf. Noch immer intakt, passierte der Samen den Verdauungstrakt der Milben.
    Und so fing eigentlich alles an – als ein mikroskopischer Haufen Ungezieferscheiße.
    Die Temperatur betrug meistens um die 22 Grad, konnte jedoch bei entsprechender Umgebung auch auf 27 Grad oder noch höher ansteigen. Die Samen brauchten diese Temperaturen. Und sie brauchten einen bestimmten Salzgehalt und ein bestimmtes Maß an Feuchtigkeit, die die Haut des Wirts unbeabsichtigt zur Verfügung stellte. Diese Bedingungen führten zu Reaktionen in den Rezeptorzellen – sie schalteten die Samen sozusagen ein – und bereiteten das Wachstum vor. Doch es bedurfte noch weiterer Bedingungen, damit es zum Keimen kam.

    Sauerstoff war der Hauptbestandteil in diesem Wachstumsrezept. Während des langen Falls hatte die luftdichte Hülle verhindert, dass irgendwelche Gase ins Innere des Samens gelangten – in jenes Innere, das man als Embryo hätte bezeichnen können, hätte es sich dabei um einen Menschen oder ein Tier gehandelt. Das Verdauungssystem von Demodex jedoch setzte der äußeren Schutzhülle des Samens so sehr zu, dass Sauerstoff eindringen konnte.
    Automatisierte, ohne Bewusstsein ablaufende Reaktionen in den Rezeptorzellen setzten einen ebenso eleganten wie komplexen biochemischen Tanz in Gang, der sich wie die Checkliste zur Vorbereitung eines Fluges las.
     
    Sauerstoff? Überprüft.
    Korrekter Salzgehalt? Überprüft.
    Angemessene Feuchtigkeit? Überprüft.
    Passende Temperatur? Überprüft.
     
    Milliarden mikroskopischer Samen hatten sich auf die lange Reise gemacht. Millionen überlebten den ursprünglichen Fall, und Tausende überdauerten lange genug, um eine geeignete Umgebung zu finden. Hunderte landeten auf diesem bestimmten Wirt. Nur ein paar Dutzend fielen auf ein Stück seiner nackten Haut, und von diesen wiederum gingen einige zugrunde, bevor sie zu Milbenfäkalien wurden. Alles in allem begannen nur neun Samen zu keimen.
    Eine rapide Wachstumsphase folgte. Zellen teilten sich via Mitose, verdoppelten ihre Anzahl alle paar Minuten und bezogen ihre Energie und ihr Baumaterial aus den in den Samen eingelagerten Nahrungsvorräten. Das Überleben der Keimlinge hing davon ab, wie schnell sie waren. Sie mussten
Wurzeln treiben und Schutzvorrichtungen ausbilden in einer Umgebung, die ihnen schon bald feindlich gesinnt sein würde. Die Samen brauchten keine Blätter, nur eine Hauptwurzel, die bei pflanzlichen Embryonen als Keimwurzel bezeichnet wird. Diese Keimwurzeln waren sozusagen das Rettungsseil der Samen, denn mit ihrer Hilfe zapften sie ihre neue Umgebung an.
    Die Hauptaufgabe der Keimwurzel bestand darin, in die Haut einzudringen. Die äußere Hautschicht, die aus Zellen voller zähem, faserigem Keratin besteht, bildete das erste Hindernis. Die mikroskopischen Wurzeln wuchsen in die Tiefe und schoben sich langsam, aber unablässig durch diese Barriere bis in das weichere Gewebe darunter. Eine Samenkapsel konnte die äußere Schicht nicht durchbohren. Das Wachstum kam nach und nach zum Erliegen und sie starb ab.
    Blieben noch acht.
    Sobald dieses Hindernis überwunden war, ließen die Wurzeln die Epidermis rasch hinter sich und gruben sich tiefer in die Dermis und dann durch die Fettzellen der Subkutanschicht. Rezeptorzellen maßen die Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung der Umgebung und der Dichte. Unter der Subkutanschicht und unmittelbar über dem festen Muskelgewebe begann für die Wurzeln eine neue Phase. Jede Einzelne der acht Wurzeln wurde zum Mittelpunkt eines neuen Organismus.
    Das zweite Stadium folgte.
    Das rapide Wachstum hatte die Nahrungsspeicher der Samen geleert. Jetzt waren die kleinen Hüllen nur noch überflüssige Transportvehikel und fielen ab. Unter der Haut breiteten sich die Wurzeln des zweiten Stadiums aus. Sie
ähnelten weniger den Wurzeln eines Baumes oder irgendeiner anderen Pflanze, sondern vielmehr kleinen Tentakeln, die sich aus einem gemeinsamen Zentrum heraus entwickelten und Sauerstoff, Proteine,
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