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Incarceron

Incarceron

Titel: Incarceron
Autoren: Catherine Fisher
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Empor aus dieser verlorenen Grube der Vergangenheit. Und es war schwer, die aufgeblitzten Visionen nicht wieder zu verlieren. Bereits jetzt schon hatte er den größten Teil
vergessen, nur den Kuchen auf dem Teller, mit Silberkügelchen verziert, nicht. Wie dumm und sinnlos war dieses Bild. Es verriet ihm nichts darüber, wer er war oder woher er kam.
    Â 
    An einer Seite des Schachtes führte eine Leiter hinab. Zuerst kletterten die Späher hinunter, dann die Gefangenen und jene Krieger, die Waren und Verletzte abseilten. Als Letzter stieg Finn hinab. Ihm fiel auf, dass die glatten Wände hier und dort Risse hatten, wo verkümmerte schwarze Farne durchgebrochen waren. Man musste sie entfernen, denn ansonsten würde das Gefängnis sie vielleicht spüren, den Durchgang versiegeln und den ganzen Tunnel reabsorbieren. So war es ihnen letztes Jahr ergangen, als sie von einem Plünderungszug zurückkamen und feststellen mussten, dass ihr Unterschlupf verschwunden war. Stattdessen waren sie auf einen breiten, weißen Gang gestoßen, der mit abstrakten Bildern in Rot und Gold geschmückt war.
    Â»Incarceron hat mit den Schultern gezuckt«, hatte Gildas grimmig bemerkt.
    Das war das erste Mal, dass Finn das Gefängnis hatte lachen hören.
    Â 
    Er schauderte, wenn er sich jetzt daran erinnerte. Es war ein kaltes, belustigtes Kichern gewesen, das in den Gängen widergehallt war. Und es hatte Jormanric mitten in seinem Zorn zum Schweigen gebracht! Die Haare auf Finns Haut hatten sich vor Entsetzen aufgestellt. Das Gefängnis war am Leben. Es war grausam und gleichgültig, und er selbst war in seinem Innern.
    Finn sprang die letzten Sprossen in den Unterschlupf hinab. Die große Halle war genauso laut und überfüllt wie immer, und die Wärme der lodernden Feuer war überwältigend. Die Leute drängten sich begierig um die Beutegüter, rissen den Getreidesack
auf und zerrten Nahrungsmittel heraus. Finn drängte sich durch die Menge und lief geradewegs zu der winzigen Zelle, die er mit Keiro teilte. Niemand hielt ihn auf.
    Als er eingetreten war, schloss er die dünne Tür und setzte sich aufs Bett. Es war kalt im Raum, und es roch nach ungewaschener Kleidung, aber es war still. Langsam ließ er sich auf den Rücken sinken.
    Er machte einen Atemzug, und mit der Luft drang das Entsetzen in ihn ein. Es überrollte ihn in einer übelkeiterregenden Welle. Er war sich sicher, dass das Hämmern seines Herzens ihn töten würde, und er fühlte kalten Schweiß auf seinem Rücken und auf seiner Oberlippe. Bis jetzt hatte er das Gefühl in Schach gehalten, aber diese bebenden Herzschläge glichen dem Vibrieren der riesigen Räder. Als er sich die Handflächen auf die geschlossenen Augen presste, sah er die Metallfelgen über sich aufragen, umgeben von einem prasselnden Funkenregen.
    Er hätte getötet werden können . Oder noch schlimmer: Er hätte zermalmt und verstümmelt werden können. Warum hatte er sich bereit erklärt? Warum musste er es sich immer wieder beweisen, dass er dem dummen, leichtsinnigen Ruf der anderen gerecht werden konnte?
    Â»Finn?«
    Er öffnete die Augen.
    Einen Moment später rollte er sich herum.
    Keiro stand mit dem Rücken zur Tür.
    Â»Wie lange bist du schon da?« Finns Stimme war belegt; eilig räusperte er sich.
    Â»Lange genug.« Sein Eidbruder kam näher und setzte sich auf das andere Bett.
    Â»Müde?«
    Â»So kann man es auch nennen.«
    Keiro nickte. Dann sagte er: »Man muss immer einen Preis
zahlen. Jeder Gefangene weiß das.« Er sah zur Tür. »Niemand von denen da draußen hätte tun können, was du getan hast.«
    Â»Ich bin kein Gefangener.«
    Â»Inzwischen schon.«
    Finn setzte sich auf und fuhr sich mit den Händen durch die schmutzigen Haare. »Du hättest es selbst tun können.«
    Â»Tja, hätte ich.« Keiro lächelte. »Aber ich bin etwas Außergewöhnliches, Finn. Ein Meisterdieb. Umwerfend schön, ausgesprochen unbarmherzig und vollkommen furchtlos.« Er legte den Kopf schräg, als erwartete er ein verächtliches Schnauben, doch als er nichts hörte, lachte er und zog seinen dunklen Mantel und sein Wams aus. Dann öffnete er die Truhe und ließ sein Schwert und seine Muskete hineinfallen, ehe er im Kleiderhaufen wühlte und ein rotes Hemd herauszog, das üppig mit schwarzer Spitze
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