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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut
Autoren: Michael Swanwick
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daran gefesselt war. An einer Seite lag der Kommandoraum mit den gestapelten Kisten voller Nahrungsmittel und Überlebensausrüstung. An der anderen blickte man in die weite und zugige Welt hinaus. Hinter sich fühlte der Bürokrat die leeren schmalen, dunklen Straßen, die ihn anstarrten. »Ich möchte mit Ihnen über Ihr Angebot sprechen«, sagte er.
    Gregorian sagte träge: »Welches Angebot meinen Sie?«
    »Ich möchte Ihr Schüler werden.«
    »Ach, das. Nein, das war nicht ernst gemeint. Es sollte Sie dazu ermutigen, mich hier aufzuspüren, das war alles.«
    »Trotzdem.«
    »Sie haben keine Ahnung, was alles dazugehört, kleiner Bruder. Ich könnte alles von Ihnen verlangen - zum Beispiel einen Hund zu kreuzigen. Oder einen wildfremden Menschen umzubringen. Dieser Prozeß verändert einen. Ich könnte Ihnen sogar befehlen, den alten Pouffe zu ficken. Würden Sie das tun? Jetzt und hier?«
    Pouffe saß ihnen gegenüber, mit dem Rücken zum Land. Im Licht, das durchs Fenster fiel, wirkte sein Gesicht aufgedunsen und ungesund. Seine Augen waren zwei matte Sterne, sie blinzelten nicht. Der Bürokrat zögerte. »Wenn es sein muß.«
    »Sie sind kein überzeugender Lügner. Nein, Sie werden schön an diese Strebe gefesselt bleiben. Sie müssen solange hierbleiben, bis die Flut kommt. Und dann müssen Sie sterben. Es gibt keinen Ausweg. Ich allein könnte Sie losmachen, und mein Entschluß steht fest.«
    Sie schwiegen beide. Der Bürokrat meinte das Meer hören zu können, so leise wie ein fernes Flüstern.
    »Glauben Sie«, sagte Gregorian, »daß es noch überlebende Drule gibt?«
    Der Bürokrat antwortete überrascht: »Sie haben Ihrem Vater doch den Kopf eines Druls geschickt.«
    »Ach, das? Nichts weiter als ein billiger Trick, den ich mit den Überbleibseln von Kordas alter Laborausrüstung zusammengebraut habe. Ich hatte noch diese toten Geldsäcke aus der Zeit, wo ich Kapital auftreiben mußte, und dafür waren sie gerade recht. Aber Sie - es heißt, Sie hätten in Cobbs Creek mit einem fuchsköpfigen Drul gesprochen. Was meinen Sie? War das real? Seien Sie jetzt ehrlich, es gibt keinen Grund mehr, zu lügen.«
    »Man sagte mir, es habe sich dabei um einen Naturgeist gehandelt ...«
    »Pah!«
    »Aber ... Also, wenn das keiner Ihrer Leute mit einer Maske war, dann kann ich mir nicht vorstellen, was es außer einem Drul sonst gewesen sein könnte. Er war ein lebendiges Wesen, dessen bin ich mir sicher, ebenso greifbar wie Sie und ich.«
    »Ahhh.« Das Stöhnen war irgendwo zwischen Genugtuung und Schmerz angesiedelt. Dann zog Gregorian beiläufig ein riesiges Messer hinter seinem Gürtel hervor. Die Klinge war aus schwarzem Stahl, das Heft aus Elfenbein. »Ich glaube, er ist soweit.«
    Gregorian näherte sich Pouffe und hockte sich hin. Er schnitt dem alten Krämer einen langen Streifen aus der Stirn. Er blutete kaum. Ein schwaches Leuchten ging vom Fleisch aus, nicht so hell wie bei Undines Iridobakterien, sondern ein weicheres, grünliches Licht. Es leuchtete zwischen den Fingern des Magiers hervor, erhellte seine Mundhöhle und erlosch. Gregorian kaute geräuschvoll.
    »Die Fiebertänzer sind jetzt auf dem Höhepunkt. Vor zehn Minuten wären sie noch ansteckend gewesen. In einer Stunde bauen sich die Toxine bereits wieder ab.« Er spuckte den Fleischstreifen in die hohle Hand und schnitt ihn in zwei Teile. »Da.« Er hielt die eine Hälfte dem Bürokraten an die Lippen. »Nehmen Sie. Essen Sie.«
    Der Bürokrat wandte sich angewidert ab.
    »Essen Sie!« Das Fleisch hatte keinen starken Geruch; vielleicht wurde er aber auch vom Rauch des Holzfeuers überdeckt. »Ich habe Sie hierhergebracht, weil dieses Sakrament am besten in Gesellschaft funktioniert. Wenn Sie nicht daran teilnehmen wollen, habe ich keine Verwendung für Sie.« Der Bürokrat gab keine Antwort. »Denken Sie nach. Solange Sie leben, gibt es Hoffnung. Ein Meteorit könnte mich erschlagen. Korda könnte mit einer Abteilung Marines auftauchen. Wer weiß das schon? Ich könnte es mir sogar anders überlegen. Der Tod ist das Ende aller Möglichkeiten. Machen Sie den Mund auf.«
    Er gehorchte. Das kühle Fleisch wurde auf seine Zunge gedrückt. Es fühlte sich gummiartig an. »Kauen Sie. Kauen Sie und schlucken Sie erst, wenn nichts mehr da ist.« Der Magen drehte sich ihm um, doch er bezwang seinen Ekel. Das Fleisch hatte nur wenig Geschmack, doch dieses Wenige war deutlich ausgeprägt. Er würde es den Rest seines Lebens im Mund
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