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In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück

Titel: In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück
Autoren: Kerstin Gier
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mit einer Hand meinen Arm, legte die andere um meine Taille und führte mich den Gartenweg hinauf. Ich konzentrierte mich auf meine Füße und sah dabei, dass ich noch meine Pantoffeln anhatte.
    »Schlüssel?«
    Oh. Mist. Den hatte ich drinnen vergessen. Genau wie meinen Mantel.
    »Ich könnte auf der Terrasse schlafen, dann muss ich niemanden wecken«, sagte ich, aber da hatte der Typ schon geklingelt. Zwei Mal.
    »Deine Eltern sollen ruhig sehen, dass du betrunken bist«, sagte er. »Dir hätte ja weiß der Himmel was passieren können. Da können die sich ruhig mal ein paar Gedanken drüber machen.«
    »Tsssshhh«, machte ich. »Für wie alt halten Sie mich? Für siebzehn?«
    »Höchstens«, sagte der Idiot. »Eigentlich sollte man mit siebzehn schon wissen, wie schädlich Alkohol ist.«
    Mein Schwager öffnete die Tür. Bei meinem Anblick riss er entsetzt seine Augen auf. Dabei war er es und nicht ich, der nur eine Pyjamahose trug und einen ziemlich haarigen Bauch hatte. Mir entfuhr ein leises »Cholera!«
    Hinter ihm kam Mimi, sich den Bademantelgürtel zuknotend, die Treppe hinunter. »Was ist passiert?«
    »Nichts! Wir wollten nur eine kleine nächtliche Urnenbesichtigung machen«, sagte ich, aber ich hörte genau, dass es klang wie »Nschwisichtchn«.
    Der Mann hielt mich immer noch fest. »Ich möchte mal wissen, wieso man es ihr so leicht macht, an Alkohol zu kommen«, sagte er vorwurfsvoll zu Ronnie. »Was nutzt das Jugendschutzgesetz in den Läden, wenn die Kinder zu Hause freien Zugang zu Papas Weinkeller haben?«
    »Wir hatten nur einen Bordeaux zum Abendessen«, murmelte Ronnie. »Einen Achtundneunziger Chateau Ni… – ähm, sagten Sie Jugendschutzgesetz ?«
    Ich kicherte, hörte aber wieder auf, als ich Mimis blasses Gesicht sah. Auch die anderen guckten ziemlich ernst. Ich war ganz offensichtlich die Einzige, die hier irgendwas komisch fand.
    »Sie können sie loslassen. Wir kümmern uns um sie«, sagte Mimi. Ihre Stimme zitterte ein wenig.
    »Ich glaube nicht, dass sie alleine stehen kann.« Der Griff um meinen Arm lockerte sich erst, als Ronnie mich mit beiden Händen gepackt hatte. »Sie lag auf dem Bürgersteig! Wer weiß, wie lange schon.«
    »Wie gut, dass Sie vorbeikamen.« Mimi biss sich auf die Unterlippe. »Ich werde Ihnen ewig dankbar sein. Ich möchte gar nicht daran denken, was alles hätte passieren können.« O Gott – hatte sie etwa Tränen in den Augen?
    Jegliche durch Alkohol herbeigeführte Erheiterung verflüchtigte sich. Stattdessen meldete sich mein schlechtes Gewissen. Sogar die Katze, die aus dem Wohnzimmer kam, um zu sehen, was los war, machte ein schockiertes Gesicht.
    ś zamknie˛te dla zwiedzaja˛cych!« , murmelte ich peinlich berührt. Offenbar war ich noch nicht betrunken genug.
    »Ich sag ja, man kann sie kaum verstehen.«
    »Weil das polnisch ist, Sie Idiot.« Mir ist plötzlich furchtbar übel. Gut möglich, dass ich mich übergeben muss. Oder sterben. (Daher der dramatische Präsens.)
    In meinen Ohren fängt es an zu rauschen. Wahrscheinlich sterben jetzt alle Gehirnzellen ab, die ich für einen Schulabschluss brauchen könnte. Gut, dass ich schon einen habe. Außerdem ist es sowieso egal, wenn ich jetzt sterbe.
    »Halt sie bloß fest, Ronnie!«
    Ich höre ihre Stimmen nur ganz undeutlich. Mir geht es gar nicht gut. Es ist auch nicht mehr lustig, jetzt. Kalter Schweiß bricht aus allen Poren. Das Rauschen in den Ohren wird lauter. Und dann höre ich gar nichts mehr.
    Ich glaube, ich bin gestorben. Oder eingeschlafen.
    »Mach es wie die Sonnenuhr,
zähl die heit’ren Stunden nur.«
    Poesiealbumsspruch. Keine Ahnung von wem.
Verklagen Sie mich doch!

Demnach vergangene Zeit seit dem 21. Oktober:
0,2 heitere Stunden.
Positiv: Wenn das so weitergeht,
bleibe ich auf ewig jung.

    Ich will mein persönliches Drama wirklich nicht schönreden, aber bei allem Unglück hatte es durchaus auch Vorteile. Erstens musste man sich um überhaupt nichts kümmern, und zweitens durfte man sich in jeder Beziehung hängen lassen. Oder sagen wir so: Man kann sich eine Menge herausnehmen, wenn einem gerade der Ehemann gestorben ist. Plötzlich und unerwartet, wie es immer so schön heißt. Als trauernde Witwe kann man abwechselnd ekelhaft und gemein sein oder den ganzen Tag apathisch vor sich hinglotzen, man darf vergessen, sich die Haare zu waschen, und braucht sich nicht zu kämmen und zu schminken. Man darf mitten in den »Tagesthemen« einen Schuh auf Tom Buhrow schleudern (also,
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